Die Diskussion um die Moral der Steuerzahler erinnert mich an die Debatten um die Teeküche im Büro meines alten Freundes Bruno. Die Zustände dort, sagt er, seien untragbar, die Situation streife die Grenzen des gesundheitspolizeilich Zulässigen, niemand kümmere sich. Menschen nutzten die Teeküche für alles Mögliche, niemand aber fühle sich verantwortlich für deren Reinigung.
Die Gemeinschaft reagiere mit Appellen, Drohungen, Sanktionsversuchen. Nichts ändere sich. Warum, fragt Bruno, versuche man es nie auf andere Weise? Im Positiven? Wieso werde nicht, wer sich der Teeküche erbarme, von den anderen Nutzern mit Auszeichnungen bedacht? Aus welchem Grund rufe man ihm nicht im Chor zu: »O großer Tee-küchen-Reiniger, wir danken dir! Du ragst aus unserer Gemeinde heraus, du bist ein Vorbild für uns alle, wir streben zu handeln wie du! Geküsst seien deine fleißigen Hände!« Er würde sich wundern, sagt Bruno, wenn sich daraufhin nicht substanziell etwas ändern würde.
In der Steuerdebatte ist es ähnlich. Vermutlich hat fast jeder Deutsche schon mal im Rahmen des ihm Möglichen Steuern hinterzogen, Fälle wie Zumwinkel und Hoeneß sind Spitzen riesiger Eisberge. Die Finanzbehörden reagieren drakonisch, Menschen stehen am Pranger, die Selbstanzeigen stapeln sich, die Grünen verlangen noch viel mehr Steuern. »Steuerbehörden lassen sich auf ein Räuber-und-Gendarm-Spiel ein, bei dem die Finanzbehörden die Steuerzahler grundsätzlich als unehrlich ansehen«, las ich jetzt in der FAZ in einem Aufsatz zweier Fachleute für Steuerpsychologie. Dabei sei im Grunde gegenseitiges Vertrauen zwischen Steuernehmern und Steuerzahlern viel wichtiger für eine gute Steuermoral.
Hier setzt nun die Teeküchen-These an. Warum verlassen wir nicht den Weg von Drohungen und Strafen? Warum müssen sich Finanzbehörden verhalten, als seien sie unsere Gegner? Warum nimmt überhaupt der Staat unser Geld ohne das geringste »Dankeschön« entgegen? Wäre es nicht denkbar, dass einem Steuerbescheid auch ein Schreiben beiläge, in dem die Behörden ihrer Freude über die regelmäßigen Überweisungen Ausdruck geben? Dass ein Bürger, der gerade eine Steuerprüfung über sich ergehen ließ, deren Ergebnis ihm die korrekte Zahlung alles Geforderten bestätigte, dass ein solcher Bürger also öffentlich als Vorbild gepriesen würde? Dass ihm vor seiner Wohnung ein Chor von Steuerinspektoren ein Ständchen brächte? Dass man ihm in einer öffentlichen Zeremonie den Orden »Held des Ehegattensplittings« anheftete oder wenigstens die goldene Nadel der Steuerklasse III?
An jeder Tankstelle kann man heute Bonuspunkte sammeln und bekommt dafür mal eine Gartenschere oder einen kleinen Hochdruckreiniger. Beim Staat gibt es nichts. Ein paar Tage gratis Kindergartenbesuch für besonders reichliche Steuerzahlungen, ein freier Eintritt in den städtischen Bädern! Ein kleines Zeichen der Freude über all die Zuwendungen. Mir würde es was bedeuten.
Jeder Pädagoge weiß seit Jahr und Tag, dass Lob viel mehr Erfolg hat als Tadel. Der Mensch lechzt nach positiven Reizen. Es könnte auch mal der Polizist, der unser Auto im Rahmen einer Verkehrskontrolle stoppt, seiner Freude darüber Ausdruck geben, dass wir uns an die Geschwindigkeitsbeschränkung hielten, keinerlei Alkohol im Blut hatten, Papiere und Warnwesten mit uns führten, als wäre das nichts. Ein Handschlag, ein Danke, ein »Mann, Sie sind großartig« - ist das denn so viel verlangt? Er muss ja nicht gleich den kompletten Verkehr stoppen, um die anderen auf unsere Korrektheit hinzuweisen.
Meinetwegen sollen Falschparker weiterhin ihre Strafzettel bekommen. Aber gibt es einen Grund, dass Richtigparker nichts erhalten? Dass die Mühe des Suchens und Suchens als selbstverständlich gilt? Dass der Platz unter ihren Scheibenwischern immer leer sein wird?
Illustration: Dirk Schmidt