Gesetzt den Fall, es wäre wirklich möglich, aus Mücken Elefanten zu machen – das muss man sich vorstellen! Ein Mann sitzt auf lauschiger Terrasse, der Sommer brummt und blüht und schwirrt und zwitschert, gerade setzt unser Mann die Bierflasche an den Mund, da biegt ein Mückofant um die Ecke, setzt den Rüssel auf die einzige Stelle der Haut, die der Erwähnte nicht mit Anti-Mückofant eingerieben hat, bohrt sich durch die Epidermis, und – lutsch! – hat er den eben noch das Leben in seiner Fülle Genießenden komplett leer gesaugt, sechs Liter Blut auf einen Sitz. Fahl und lasch liegt der Ausgetrunkene auf dem Terrakottaboden, rülpsend geht der Mückofant seiner Wege.
Diese Möglichkeit bedenkend, muss man sagen: Es ist nicht schön, dass es die Mücken gibt, aber wenn es sie schon geben muss, wenn sich also der Schöpfer ihre Erschaffung nicht verkneifen konnte, dann ist es doch gut, dass sie so klein sind. Es könnte alles viel schlimmer sein.
Andererseits: Ist es nicht schon schlimm genug? Warum müssen wir, nach einem Regenfrühsommer ohnegleichen, nun den Hauptsommer verbringen in Wolken von Blutsaugern, die aus feuchten Niederungen aufsteigen? Und gleich die nächste Frage: Warum werde immer ich gestochen? Warum wirke ich, in Gesellschaft anderer, für diese anderen wie ein lebender Mückenschutz, weil all diese Tiere immer nur mein Blut wollen?
Ich habe mich mit dem Forschungsstand vertraut gemacht. Etwa zwanzig Prozent der Menschen sind für Mücken besonders attraktiv. Blutgruppe 0 zum Beispiel mögen sie lieber als A, aus unbekannten Gründen. Auch bevorzugen sie Sportler, weil diese eine höhere Körpertemperatur haben und mehr schwitzen. Drittens werden Menschen, die Bier trinken, mehr gestochen als andere. Viertens sind größere Menschen öfter Mückenziel als kleinere, einfach weil sie mehr Kohlendoxid ausatmen, das können die Tiere schon aus fünfzig Metern Entfernung gut wahrnehmen. Deshalb werden Schwangere auch öfter gebissen.
Ich habe Blutgruppe 0, treibe Sport, trinke Bier, bin relativ groß. Nur Schwangerschaften konnte ich bisher vermeiden. Was soll ich sagen? Es gibt Tage, da wäre ich gerne ein schlaffer, Wein trinkender Zwerg mit Blutgruppe A.
Im Internet las ich einen Artikel aus dem Jahr 2010 über ein Experiment, das britische Mückenforscher gemacht haben. Sie steckten Menschen, die erwiesenermaßen besonders unattraktiv für Mücken waren, bis zum Hals in Plastiksäcke und sammelten deren Schweiß. Mit Hilfe eines Gas-Chromatographen untersuchten sie, welche Bestandteile dieser Flüssigkeit Mücken besonders ablehnten. Mit genau dieser Substanz rieben sich die Forscher ein und machten einen Spaziergang im schottischen Hochland, wo die berühmte Highland Midge wütet, die einen Menschen pro Stunde 40 000 Mal stechen kann, so oft, bis es kein Planquadrat mehr auf ihm gibt, das sie nicht erwischt hat.
Ergebnis: kein einziger Stich.
Die Forscher wollten, las ich, nun Experimente in afrikanischen Malaria-Gebieten machen. Dann das ultimative Anti-Mücken-Mittel entwickeln. Der Artikel war, wie erwähnt, von 2010. Ich frage: Wo bleibt das Mittel? Warum dauert alles so lange? Sind die Männer nicht zurückgekehrt aus Afrika? Ich will mich endlich mit dem Transpirat von Menschen einreiben, die von Mücken gemieden werden, mir ist alles egal. Und ich will das jetzt! Warum muss ich warten?
In Süskinds Parfum gibt es den Parfumeur Jean-Baptiste Grenouille, der junge Frauen ermordet und sie sofort danach in eingefettete Tücher wickelt, um ihren Duft zu speichern. Sollte ich dieser Tage einem Menschen begegnen, der keinen einzigen Mückenstich hat – werde ich der Versuchung widerstehen können, ihn ein wenig bewusstlos zu schlagen? Ihn dann bis zum Kinn in einen Plastiksack zu stecken? Um seinen Schweiß zu gewinnen, seinen kostbaren, reinen Anti-Mücken-Schweiß?
Illustration: Dirk Schmidt