Wie wir alle wissen, ist die Zukunft jedes Einzelnen von uns in seinen Handlinien festgeschrieben. Studiert ein Chiromant ausführlich genug unsere Handflächen, kann er unsere Zukunft in der Regel en detail vorhersagen, das ist keine große Sache: Hochzeit, Anzahl der Kinder, Gesundheit, finanzielles Ergehen – all das hat der Schöpfer sorgsam in die Haut der Innenhand graviert, man muss es nur lesen können. Dies ist seit Jahrhunderten erwiesen.
Ergänzend dazu hat die Vorsehung winzige Signale für zukünftiges Geschehen in unseren Alltag eingebaut. Nicht jeder vermag das zu erkennen, aber die Eingeweihten wissen Bescheid: der Fund eines vierblättrigen Kleeblatts, das Vorbeihuschen einer schwarzen Katze, der Gruß eines Schornsteinfegers – für viele von uns bedeutet das so viel wie dem Konjunkturforscher das Studium der Wirtschaftsdaten oder dem Arbeitskreis Steuerschätzung das Verfolgen der großen Geldflüsse. Ich persönlich weiß, dass der Fund eines Ein-Cent-Stückes auf der Straße meine Solvenz für die nächsten drei Monate sichert, das ist immer so gewesen und durch Langfrist-Studien unabhängiger Forscher der Universitäten Glücksburg, San Fortunato und Luck City auch hinreichend untersucht.
Natürlich gibt es Ignoranten. Es gibt sie immer. Dieses alberne Grinsen in manchen Gesichtern, wenn sie mit ironischer Gebärde einen chinesischen Glückskeks öffnen: Ich kann es nicht mehr sehen. Angela Merkel hat schon um die Jahrtausendwende von einem sprechenden Keks erfahren, dass sie unser Land jahrzehntelang regieren wird; jedem Abonnenten der Neuen Schicksalsblätter ist das bekannt. Amerikanische Geheimdienste verfügen mittlerweile über Handlinien-Dossiers jedes einzelnen Weltbürgers: Schon an Silvester wird man so weit sein, mit Hilfe eines Megacomputers, der so groß ist wie Las Vegas und Atlantic City zusammen, diese Dokumente zu kombinieren und so das Weltgeschehen der kommenden Jahre in allen Einzelheiten vorherzusagen.
Interessant ist nun, was aus Japan berichtet wird. Dort bietet nämlich der Chirurg Doktor Takaaki Matsuoka seit diesem Jahr harmlose Eingriffe an, mit denen er die Linien der Handflächen gleichsam neu zieht. Einige Schnitte mit dem Elektroskalpell, 700 Euro auf den Tisch des Hauses, ein Monat verbundene Pfoten – und das Leben ist ein anderes.
Takaaki Matsuoka sagt, in diesem Jahr habe er zum Beispiel die sogenannte »Ehelinie« einer dreißigjährigen Frau so verändert, dass diese innerhalb von ein bis drei Jahren nach dem Eingriff verheiratet sein würde. So geschah es auch. Bei zwei Männern operierte Matsuoka die money-luck line ihrer Hände dergestalt, dass sie beide unverzüglich im Lotto gewannen. Man könne, so der geniale Chirurg, im gleichen Zug übrigens die financial line so formen, dass den Glücklichen das neu gewonnene Vermögen nicht gleich wieder zwischen den Händen zerrinne; er habe dies vorsorglich auch getan.
Wer hätte gedacht, dass der Mensch je eine solche Macht über die eigene Zukunft gewinnen könnte!? Man stelle sich vor, alle an den Börsen tätigen Menschen würden sich ihre entsprechenden Handlinien von Doktor Matsuoka gestalten lassen: ein ewiges Aufwärts aller Indizes wäre die Folge! Wäre es nicht auch möglich, auf unseren Wetterkarten einfach keine Symbole für Regen und Nebel mehr vorzusehen, sodass Wetterentwicklungen in dieser Richtung unmöglich wären? Könnte nicht der Staat eine tägliche Reinigung unserer Schornsteine vorschreiben, sodass schicksalhafte Begegnungen mit dem Schornsteinfeger zum Alltag würden?
Ich für mein Teil ließ heute morgen auf dem Weg ins Büro alle hundert Meter unauffällig eine Ein-Cent-Münze fallen, und weil ich daheim etwas vergessen hatte, musste ich noch einmal zurück: Durch diese simple Maßnahme ist mein finanzielles Wohlergehen für das kommende Jahr bereits jetzt zur Gänze gesichert.
Illustration: Dirk Schmidt