Offen gestanden: Man kann sich wahrscheinlich als Pferd ein schöneres Leben vorstellen, als Tag für Tag eine Kutsche durch New York zu ziehen. Ein freies Leben draußen in der Prärie oder auf einer grünen Koppel, das wäre fein oder sehr cool oder supergeil, aber wer hat das schon? Man kann sich die Welt nicht schnitzen, wie man sie haben möchte, man muss sie nehmen, wie sie ist, als Pferd sowieso. Und immerhin ist die Arbeitszeit geregelt: Mehr als neun Stunden darf kein Kutschpferd draußen sein. Der Weg durch den Straßenverkehr zum Central Park, wo man seinen Dienst verrichtet, dauert eine halbe Stunde. Fünf Wochen Urlaub pro Jahr auf einer Farm im Norden sind garantiert, auch regelmäßige ärztliche Untersuchungen, vier Mal Strohwechsel am Tag, solche Sachen.
Trotzdem sollen die 68 Pferdekutschen abgeschafft werden, der neue Bürgermeister Bill de Blasio will das, Prominente wie Alec Baldwin, Pink und Calvin Klein wollen es ebenfalls. Die meisten New Yorker, fast zwei Drittel, möchten die Kutschpferde allerdings behalten, auch andere Berühmte, Liam Neeson zum Beispiel, der Schauspieler, sind dafür. Aber vor dessen Wohnung demonstrierten kürzlich einige Dutzend Leute und forderten ein »Ende der Unterstützung für Grausamkeiten«. Dabei hatte er in der New York Times bloß geschrieben, die Kutschen seien ein Wahrzeichen der Stadt, im Übrigen kenne er sich mit Pferden etwas aus, und die seien, wie Menschen, am zufriedensten, wenn sie arbeiteten.
Na ja, Grausamkeiten … Das Elend der Käfighühner, die Widerwärtigkeit des Schlachtpferde-Transports, die Miserabilität des Hamster-Lebens in einem deutschen Kinderzimmer – das ist grausam. Einen Wagen im Central Park zu ziehen ist vermutlich nicht das, wovon man als Fohlen träumt, aber ist es grausam? Man fragt sich, warum manche Tierschützer (nicht alle, bitte, bewahren Sie Ruhe!, nicht alle) immer so mit Schaum vorm Mund gegen Andersgesinnte vorgehen.
In Gainesville, Georgia, verunglückte neulich ein Lastwagen, der Hühner geladen hatte, einige Dutzend der Tiere starben, und Sarah Segal, ein Mitglied der Tierschutzorganisation PETA, habe sogleich gefordert – dies entnahm ich der Gainesville Times – ein drei Meter hohes Denkmal für diese Hühner zu errichten. Bitte, ich meine, wahrscheinlich waren sie auf dem Weg zum Schlachthof, sie hatten nur noch zwei Stunden zu leben! Und Gainesville ist das Zentrum der Hühnerzucht in den USA, da müsste man eigentlich am Ortseingang ein Denkmal errichten, so hoch wie das Empire State Building. Nur halt in Form eines Huhns. Das will wohl nicht mal PETA.
Das Problem dieser Art von Tierschutz ist, dass er letztlich auf eine Abschaffung der Tiere hinausläuft. Verböte man die Kutschpferde in New York, würden sie ja keineswegs alle auf grüne Wiesen in Vermont oder Maine gebracht, sondern vermutlich eher: zum Metzger. Wie übrigens auch das Verbot des Stierkampfes nicht etwa die Verbesserung des Lebens der betroffenen Tiere zur Folge hätte, sondern das Aussterben der entsprechenden Rinderrasse, des Spanischen Kampfrindes nämlich. Dessen Leben sich allerdings ohnehin nur wenig verbessern ließe: Kaum ein Tier hat es, nehme ich an, im Leben besser als ein Kampfstier in seinen herrlich freien Jahren auf der spanischen Hochebene – vor dem Tod in der Arena.
Edita Birnkrant von der New Yorker Initiative Friends of Animals hat gesagt, Pferde benötigten die Möglichkeit, »im Freien zu grasen und zu wandern«. Hey, kommt nicht Manhattan aus der Indianersprache, von Manna-hata, »hügeliges Land«? Warum sollen die Kutschpferde die Stadt verlassen? Gehört sie nicht ihnen: hügeliges Land, über das Pferde wandern? Die Wahrheit ist: Die Pferde müssen die Welt eben nicht nehmen, wie sie ist! Raus mit all den Menschen aus New York, weg mit Liam Neeson, auch mit Bill de Blasio und Pink! Gebt die Stadt den Mustangs zurück!
Illustration: Dirk Schmidt