Wer den Begriff »gallertartige Masse« hört, denkt vielleicht nur an den Hering in Aspik, den er gestern als Abendessen hatte. Mag aber auch sein, ihm fällt der Wunder-Büstenhalter ein, den Heidi Klum vor vierzehn Jahren in New York der Öffentlichkeit vorstellte: Zwischen hauchdünnen Plastikhäutchen über einem fast unsichtbaren Stützkorsett befand sich beim »Liquid Bra«, gut informierten Kreisen zufolge, eben eine gallertartige Masse, welche sich an die Brust der Trägerin schmiegte, sie hob, herausdrückte und damit, wie es herstellerseits hieß, »schöner, dynamischer und natürlich größer« erscheinen ließ. Wobei mir der Wunsch vieler Frauen nach größeren und schöneren Brüsten durchaus bekannt war – aber dynamischere? Ob sie »dämonischere« meinten? Jedenfalls hatte Frau Klum in einer Talkshow den BH zusätzlich als »kugelsicher« angepriesen, was den Moderator allerdings veranlasste, ein Loch ins Korsett zu bohren, aus dem die im Büstenhalter enthaltene Masse, wie es ihre Natur ist und Augenzeugen versichern, »gallertartig« heraussickerte.
Andere wiederum denken, hören sie das Wort »Gallert«, vor allem an Wulf Gallert, den Vorsitzenden der Fraktion »Die Linke« im Landtag Sachsen-Anhalts, und seinen dort vorgetragenen Debattenbeitrag zum Personalentwicklungskonzept der sachsen-anhaltinischen Polizei vom Mai dieses Jahres; unvergessen seine Forderung nach Aufhebung des Beförderungsstaus bei den Sicherheitskräften des Landes.
Ich hingegen denke an transiente Technologie. Was ist transiente Technologie? Antwort: die Entwicklung elektronischer Geräte, die verschwinden, wenn man sie nicht mehr braucht. Dieser Zukunftsvision sind wir näher, als mancher denken mag. Fachleute demonstrierten den diesbezüglichen Entwicklungsstand kürzlich an der Iowa State University, in dem sie zwei Tropfen Wasser auf eine Leuchtdiode träufelten, woraufhin die Diode nicht nur erlosch, sondern sich komplett auflöste.
Übrig blieb nur gallertartige Masse.
Nicht mehr lange, dann wird das Alltag sein. Ärzte schleusen zur Diagnose Mini-Computer in den Körper ein, die sich dort nach getaner Arbeit auflösen. Militärs lassen Drohnen hinter den feindlichen Linien spionieren; stürzen sie ab, werden sie mit einem Satellitensignal nicht nur zerstört, sondern aufgelöst. Das Zeichen aus dem All setzt Chemikalien frei, es entsteht Hitze, die macht aus Drähten und Kondensatoren ein Häuflein Asche. Auch gestohlene Kreditkarten ließen sich so unbrauchbar machen, ja, man könnte ihnen von vorneherein nur eine begrenzte Haltbarkeit geben. Zum Ablaufdatum wären sie dann einfach weg.
Ein Menschheitstraum: das Verschwinden des Unnützen, nicht mehr Brauchbaren. Ich muss hier ja nur die Schranktür öffnen, sofort sehe ich sinnlose Dinge, die der Auflösung harren, eine Schachtel Rosendünger beispielsweise (ich habe keine Rosen mehr auf dem Bürobalkon), eine Saftkaraffe (wer zum Teufel fand die je schön?), eine Schreibtischlampe (woher kommt sie überhaupt, scheußlich, wie sie ist?).
Wäre es nicht schön, man könnte das, schnipp!, sich auflösen lassen? Wobei die Frage ist: Muss immer Gallert übrig bleiben? Könnte es nicht auch Guglhupf sein oder Sandelholz oder das neue Buch von Andrea Camilleri?
Andererseits wäre es ein schöner Gedanke, dass man wieder einmal im Zug hinter jenem Manne sitzt, in dessen Hirn die Abteilung »Es gibt auch noch andere Menschen« komplett vergessen wurde und der deswegen gerade schmatzend einen stark riechenden Döner verzehrt und dabei der Buchhalterin in der Firma am Mobiltelefon lauthals einige Anweisungen erteilt, dass man also nur auf einen Knopf an einem Gerät in der eigenen Jackentasche drücken müsste – und sowohl von der Dönerhand des Mannes aus als auch von seinen Smartphonegriffeln tropfte zäh und warum nicht auch ein bisschen übel riechend: gallertartige Masse?
Illustration: Dirk Schmidt