Leute, jetzt mal ganz ehrlich, aber nur unter uns: Ich mag die Zwei nicht. Als Zahl jetzt. Von mir aus könnte man sie abschaffen. Ich brauche sie nicht.»Ja, aber hören Sie, eine Zahl abschaffen, das geht doch nicht!«, höre ich jetzt rufen. »Zum Beispiel: zwei Uhr… Wie wollen Sie dann ›zwei Uhr‹ sagen, wenn es die Zwei nicht mehr gibt?«Da geht es ja schon los, antworte ich: Zwei Uhr brauche ich auch nicht. Zwei Uhr ist die blödeste Zeit des Tages, und das gleich zweimal. Zwei Uhr nachts ist eine ganz und gar uninteressante Uhrzeit. Ich habe sie übrigens schon lange nicht mehr bewusst erlebt, weil ich um zwei Uhr nachts schlafe, und wenn ich einmal nicht geschlafen habe, hätte ich doch lieber geschlafen und bin bloß geweckt worden durch Kindergeschrei oder einen Albtraum. Nichts Wesentliches auf der Welt passiert um zwei Uhr nachts.Und zwei Uhr am Nachmittag… bitte, gehen Sie mir weg mit zwei Uhr am Nachmittag. Man sitzt im Büro und schreibt, ist jetzt müde vom Mittagessen, die große Form des Vormittags ist weg – kein einziger guter Gedanke ist mir je um zwei Uhr am Nachmittag gekommen. Aber um drei Uhr geht es dann schon wieder: Man hat sich etwas erholt, durch ein, zwei Tassen Kaffee noch einmal aufgepeitscht, steigt man in die Nachmittagsarbeit ein… Zwischen eins und drei – da war im Wesentlichen: nichts. Bitte, bedenken Sie doch, dass auch der liebe Gott am zweiten Tag nicht in der Form seines Lebens war! Lesen Sie in der Schöpfungsgeschichte: Der zweite Tag war der Tag, an dem Gott die Wasser schied und den Himmel schuf, aber es ist der einzige Tag, an dem es nicht heißt, Gott habe gesehen, »dass es gut war«. Also war es auch nicht gut, nehme ich mal an.Zwei. Ich mag ja schon den Klang nicht. Zett und Weh, so geht es los, das hat dieses Militärische, das ich nicht leiden kann, links zwo, links zwo. Und gibt es eigentlich ein einziges Wort, das mit Zett und Weh beginnt und eine schöne Sache bezeichnet? Zwang, Zweck, Zwergenaufstand, Zwiebelgeruch, Zwischenprüfung – das ist alles nur unangenehm, und wäre nicht Stefan Zweig dazwischen, man würde direkt mit dem Hammer auf dieses Zett und Weh losgehen und alles entzweischlagen. »Die Zwei ist Zweifel, Zwist, ist Zwiespalt, Zwietracht, Zwitter«, dichtete Friedrich Rückert und er hatte Recht.»Und was ist mit dem Fußball?«, fragt Bruno, mein alter Freund. »Fußball geht nur mit zwei Mannschaften!«Dazu sage ich: Bruno, du hast das Wesen des Fußballs nicht erfasst. Die Zahl Zwei spielt hier überhaupt keine Rolle. Hier steht die eine Mannschaft der anderen gegenüber, darauf kommt es an. Man zählt ja nicht: Dies ist Mannschaft eins und dies Mannschaft zwei – das täte man nur, wenn es auch noch eine Mannschaft drei und sogar eine vierte und fünfte gäbe. Gibt es aber nicht.Es geht um Antagonismus, nicht ums Zählen, und deshalb möchte ich, um das gleich vorwegzunehmen, keine Fragen hören wie: Aber bist du denn gegen die Liebe? Die Zweisamkeit? Die Paarbildung? Haste was gegen Zwillinge? Denn nie ist hier die Zwei das Wesentliche! Es geht immer um dich und mich, um sie und ihn. Erst bei einem Dreier oder in einem Harem oder bei Drillingen würde man die Zwei benötigen, aber dies alles spielt in meinem Leben keine Rolle, also benötige ich die Zwei nicht, sie kann mir gestohlen bleiben, und wenn mich einer fragt: Aber Sie haben doch zwei Kinder, den Luis und die Sophie, was antworten Sie denn da, haha, wenn Sie gefragt werden nach der Kinderzahl?Dann sage ich: Ich habe ein Kind und noch ein Kind, bleiben Sie mir vom Hals mit der Zwei, ich habe sie für mich persönlich abgeschafft und sie fehlt mir nicht im Geringsten, zumal die Zwei eine Primzahl ist, die einzige gerade Primzahl, nebenbei gesagt, und wenn ich etwas nun gar nicht leiden kann, dann sind es Primzahlen, einige der besten Jahre meines Lebens sind mir durch Primzahlen und Ähnliches versaut worden, das war in der Schule, natürlich.,So sieht’s aus mit der Zwei, Leute! Und sollten Sie in dem zweiten Auflagenteil dieses Heftes lesen, dass ich anderer Ansicht sei und die Zwei in Wahrheit meine Lieblingszahl, so sage ich Ihnen: Lüge! Betrug! Es ist der zweite Auflagenteil, es gibt ihn also in Wahrheit gar nicht oder sollte ihn jedenfalls nicht geben…- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Jetzt kann ich es endlich mal sagen: Die Zwei ist meine Lieblingszahl. Wie sie schon da auf dem Papier steht: 2. Schwung und Geradlinigkeit vereinend, standfest und doch rund, welche andere Zahl ist so schön?!Und man muss einfach sagen: Die Zwei ist die menschlichste Zahl. Zwei Arme, zwei Beine, zwei Füße, zwei Hände, zwei Augen, zwei Ohren – alles an uns ist Zwei, und überhaupt ist die Zwei der Urgrund allen Seins. Finden wir uns nicht zu zweit zusammen, entsteht kein neues Leben. Auf die meisten anderen Zahlen könnte man irgendwie verzichten, alle sind ersetzbar, die Zwei ist es nicht.Was wäre ich ohne Paola? Ein einsamer, kinderloser Zausel. Was ich nett an der Zwei finde: Sie macht nicht so ein Gewese um sich. Das Theater ist ihr fremd, das insbesondere mit der Drei und der Sieben gemacht wird, hoch bedeutenden Zahlen angeblich, die Heilige Dreifaltigkeit, Auferstehung Christi am dritten Tage, sieben Sakramente, sieben Engel gießen sieben Schalen Strafe über die Erde, sieben Todsünden… Nie hat man so etwas von der Zwei gehört. Sie ist einfach da, eins und eins ist zwei, und zweimal zwei ist vier, das ist eine klare Sache, und ich mag klare Sachen.»Wie das klingt, was du da vorträgst«, sagt Bosch, mein sehr alter Kühlschrank und Freund, »ist die Zwei eine sterbenslangweilige Zahl. Gerade, fade, ausgewogen. Warum beschäftigen Drei und Sieben die Menschen? Weil sie ungerade sind, auf rätselhafte Weise reizvoll.«»Aber ich bitte dich!«, rufe ich. »Das kannst du nur so sehen, weil du ein Klonwesen bist, das man beliebig reproduzieren kann.«»Nenn mich noch mal ›Klonwesen‹…«, schrie Bosch, »…dann kannst du warmes Bier saufen bis ans Ende!«»Entschuldige«, sagte ich. »Ich wollte nur sagen: Gerade die Zwei birgt allergrößte Dramatik!«Beispiele: die Spannung, die uns durchfährt, wenn wir Plus- und Minuspol gleichzeitig berühren; die Dialoge zwischen Matthau und Lemmon; die Rätselhaftigkeit der Beziehung zwischen Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Und was wäre Clark Kent ohne Superman? Ein langweiliger Angestellter. Was wäre Oliver Hardy ohne Stan Laurel? Ein durchschnittlicher, zu dicker Schauspieler.Übrigens ist die Zwei eine Primzahl, die erste von allen (denn die Eins nennt man nicht Primzahl, obwohl sie eigentlich eine ist) und die einzige gerade, und wer sich jemals nur ein bisschen mit Primzahlen beschäftigt hat, der weiß, dass sie der erste Grundbaustein der Zahlenwelt sind, teilbar nur durch eins und sich selbst. Außerdem sind sie von großer Bedeutung für den Online-Handel, es hat was mit Verschlüsselungen zu tun, nehmen Sie das einfach mal so hin, erklären kann ich es nicht.Primzahlforscher jagen mit wunderbaren Supercomputern nach immer neuen Superprimzahlen, die längsten sind viele Kilometer lang und liegen zusammengerollt wie Feuerwehrschläuche in den Kellern mathematischer Institute. Bis heute weiß kein Mensch, nach welchem Gesetz sie sich unter den Zahlen verteilen, sie kommen einem wie Unkraut vor, sprießen hier, sprießen da, man kann jahrelang durch die Zahlenwelt reisen, ohne einer Primzahl zu begegnen, so hat es mal einer beschrieben – und plötzlich steht man vor mehreren von ihnen wie vor seltsam geformten Felsen.Es muss ein Gesetz geben, nach dem sie existieren, bloß kennt es keiner. Und selbst unter den allergrößten Primzahlen treten unverhofft plötzlich Primzahlzwillinge auf, ein Wunder!, es sind Primzahlen, von denen die eine um zwei höher ist als die andere. 17 und 19 zum Beispiel, aber auch ein Paar, das vor zehn Jahren entdeckt wurde, bestehend aus je 11713 Ziffern. Zwillinge! Die eine um zwei von der anderen getrennt! Ist es nicht… ach!Bitte, ich liebe die Zwei. Ohne die Zwei gäbe es das alles nicht. Kein Zufall, dass ich in München lebe, der Stadt, deren Wahrzeichen die Zwillingstürme des Frauendomes sind. Und sollten Sie in einem zweiten Auflagenteil dieses Heftes lesen, dass ich die Zwei nicht mag, ja, sogar ablehne, so gehen Sie davon aus, dass jenes das erste Heft und dieses hier das zweite ist und dass ich also fortgeschritten bin in der Erkenntnis und dass Sie soeben meine wahre und richtige und tief empfundene Ansicht über die Zwei gelesen haben.