Das Beste aus meinem Leben

Notizen aus Venedig (IV): »Papaaaa…«, sagt Luis, »Papaaaa, ich möchte so gerne die Rialto-Brücke noch mal sehen, gehen wir zu Rialto?« Ist es nicht schön, dass er sich so für die Sehenswürdigkeiten interessiert? Na ja. Dazu Folgendes.Als Luis klein war und nicht schwimmen konnte, waren wir schon mal mit ihm hier. Damals haben wir nicht viel gesehen. Immerzu trugen wir entweder in gebückter Haltung den Buggy über eine der Millionen Brücken. Oder wir rasten hinter Klein Luis her, wenn er auf einen Kanal zusteuerte, um sich ins Wasser zu stürzen. Oder wir sausten los, wenn er um eine Ecke verschwand; die Gassen Venedigs sind ein Irrgarten schon für Erwachsene, um wie viel mehr für Kinder. Oder wir saßen im Café, erschöpft vom Schleppen und Rennen und von der Angst um den Sohn.Heute kann der Luis laufen und schwimmen, und was das Gassenchaos angeht, so schärften wir ihm ein, sofort stehen zu bleiben, wenn er uns nicht mehr sähe. »Wir suchen nach dir, suche nie nach uns!«, mahnten wir.Einmal ist er uns diesmal verloren gegangen. Das war, als wir von San Marco aus Richtung Ghetto gingen. Plötzlich war Luis weg. Paola ging zurück, ich ging vor, wir durchfahndeten das Getümmel, bis ich entdeckte, dass wir uns vor dem Disney-Store befanden. Da war er drin.»Wieso haust du einfach ab?«, brüllte ich. »Ich bin nicht abgehauen! Ich hatte euch verloren und dann habe ich euch nicht gesucht. So hattest du es mir gesagt.«»Aha«, sagte ich. »Und das war genau hier, was?!«»Ja…Papa, ich überlege gerade, was ich nehmen soll.«»Wie? Was du nehmen sollst?«»Das ferngesteuerte Auto von den Unbesiegbaren oder dieses Computerspiel hier?«»Das Auto«, sagte ich in einem Anfall von Großzügigkeit und Schwäche zugleich – so froh war ich, Luis gefunden zu haben, und so geschwächt war ich von der Angst um ihn.Ich kaufte das Auto. Wir tranken einen Kaffee am Canal. Ich probierte Luis’ Auto aus. Weil ich mich mit der Steuerung nicht auskannte, lenkte ich es in den Canal, wo es blubbernd versank. Luis konnte ich nur beruhigen, indem ich zurück zu Disney ging und ein neues kaufte.Wir besichtigten weiter die Stadt. Zeigten Luis die Bocca del Leone am Dogenpalast, in die man als Venezianer früher seine Denunziationsbriefe werfen konnte.Als wir weitergingen, fragte Luis, ob er im Disney-Store noch die Plastikfigur von Elastigirl aus den Unglaublichen bekommen könne. »Nein«, sagte ich.Wir erzählten Luis, dass man zwischen den Säulen der beiden Heiligen Markus und Theodor an der Piazzetta nicht hindurchgehen darf, weil das Unglück bringt – früher war hier die Hinrichtungsstätte.Als wir weitergingen, fragte Luis, ob wir noch mal zum Disney-Store gehen könnte, er hätte gerne die DVD mit dem Unglaublichen-Film. Nein, sagte ich.Wir zeigten ihm Tizians Assunta in der Frari-Kirche und blieben noch vor Canovas Grabmal stehen, einem Mausoleum, vor dessen offener Tür einige Marmortrauernde stehen und warten. »Sieht aus wie eine Fahrstuhltür«, sagte Luis. »Also ob es der Lift wäre, mit dem man in den Himmel kommt.« Er hatte Recht. Es sieht so aus.»Könnten wir zum Disney-Store gehen?«, fragte er. Er hätte gern ein T-Shirt von Mr. Incredible. »Nein«, sagte ich.»Papaaaa…«, sagte er. »Und die Rialto-Brücke? Gehen wir noch mal zur Rialto-Brücke?« Der Disney-Store ist hundert Meter von der Rialto-Brücke entfernt, erwähnte ich das schon? Er wollte mich austricksen. Luis ist ein schlauer Hund. Ich war stolz auf ihn. Ein Unglaublicher.»Gehen wir«, sagte ich.