Das Beste aus meinem Leben

Furcht kommt mich neuerdings des Öfteren an, wenn ich aus dem Büro nach Hause komme und vor der Wohnungstüre Schuhe stehen sehe, ich sage Ihnen, »Schuhe« ist gar kein Ausdruck, eher müsste man SCHUHE schreiben, denn die SCHUHE vor der Wohnungstüre sind so groß, dass ich mich, als ich ihrer zum ersten Mal ansichtig wurde, fragte, welch riesenhafter Mann hier meiner Frau einen Besuch abstattete. Und vor allem: warum?Aber es war kein Mann. Es war ein Kind, ein Freund meines Sohnes Luis, der Rudi nämlich, der nun schon herangewachsen ist zu einem Zwölfjährigen, einem Halbwüchsigen sozusagen, was den Körper angeht. Indes was die Füße betrifft – zu einem Giganten.Und er ist nicht der Einzige, der sich bereits in geringem Alter auf Füßen fortbewegt, die einem Basketballspieler zur Ehre gereichen würden. Auch die anderen, schon etwas älteren Freunde, ja, beinahe schon der Luis selbst, haben Fußgrößen, die in keinem Verhältnis zu ihrem sonstigen Körper stehen.Man muss sich fragen: Was geschieht hier eigentlich? Wie ist es möglich, dass unsere Jugend bereits auf größerem Fuße lebt als wir selbst? Solche Latschen! Vor vierzig Jahren wäre das nicht möglich gewesen. Wie kommt es, dass wir heute bereits bei noch nicht einmal richtig Pubertierenden SCHUHgrößen in der Nähe der Fünfzig beobachten? Wohin soll das führen?Werde ich eines Tages – wenn mein Sohn volljährig ist und den Besuch anderer Volljähriger empfängt, die aber ihre Schuhe schon deswegen vor der Tür ausziehen müssen, weil diese SCHUHE überhaupt nicht in eine normale Wohnung hineinpassen, ohne dass man Schaden für Leib und Leben der am Boden befindlichen jüngeren Geschwister befürchten muss –, werde ich also dieses einen Tages meine eigene Wohnung nur betreten können, indem ich durch den SCHUH eines Sohnesfreundes hindurch-gehe oder über ihn hinwegklettere?Werden wir aus den Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahren stammenden normalfüßigen Eltern eigene Zimmer für die Kinderfüße einrichten müssen?Werden wir auf den Bürgersteigen umherhuschen, um nicht von den Riesenfüßen unseres Nachwuchses entzweigetreten zu werden?Werden wir an den Stadträndern SCHUHgeschäfte von Möbelhausgröße zu errichten haben, in denen wir mit Auto-Anhängern ausgerüstet einkaufen? Werden unsere Enkel, hält dieser nicht nur von mir, sondern von vielen Eltern beobachtete Trend an, keine Surfbretter mehr benötigen, sondern auf eigenen Füßen stehend durch die Brandungen der Weltmeere gleiten?Welchen evolutionären Sinn hat diese Hypertrophie der Füße unseres Nachwuchses? Eine vorweggenommene Anpassung an das Nach-Öl-Zeitalter, in dem wir große Wege wieder per pedes zurücklegen werden müssen?Dies sind Fragen eines Mannes, der gerade mit seiner Familie auf dem Kleinhesseloher See eine Kahnpartie im rechten Sneaker seines zwanzigjährigen Neffen unternimmt, um sich zu entspannen. Sorgenvolle und berechtigte Fragen.

Illustration: Dirk Schmidt