»Oh, Ssseiße!«, sagt die kleine Sophie, als ihr das Buch, in dem sie gerade blättert, herunterfällt.»Sophie, man sagt so etwas nicht. Man sagt ›So was Dummes!‹, wenn einem etwas herunterfällt«, sagt Paola.»So was Dummes!«, sagt Sophie.»Wir müssen aufpassen«, sagt Paola zu mir. »Wir dürfen nicht mehr so viel fluchen, schon gar nicht, wenn ein Kind in der Nähe ist.«»Ich fluche doch nie«, sage ich.»Aha, ich fluche also deiner Meinung nach dauernd.«»Das habe ich nicht gesagt.«»Es ergibt sich aber aus dem …«»Man hat sich halt nicht immer im Griff.«»Müsste man aber.«Vor sehr vielen Monaten ist dem Luis einmal Folgendes passiert. Er war nämlich an einer Grundschule, an der alle Schimpfwörter streng verboten waren, man durfte sie einfach nicht benutzen, nicht mal ein bisschen und ganz leise. Der Luis aber saß im Unterricht bisweilen neben einem etwas seltsamen Knaben, der seinen Nachbarn – den Luis also – eine ganze Unterrichtsstunde lang mit allem Möglichen zu provozieren trachtete, er trat ihm also auf den Fuß, zwickte ihn ins Bein, nahm ihm einen Schreibstift weg und so weiter und so weiter.Luis hätte das gern der Lehrerin gesagt, aber er wollte nicht petzen. Er hätte seinen Nachbarn auch gern ein »Arschloch« genannt, aber das durfte er eben nicht.Also dachte er eine Weile nach und schrieb dann auf einen Zettel: »Tika-Taki = Arschloch«. Diesen Zettel schob er dem Nachbarn zu, in der Absicht, ihn nun gelegentlich »Tika-Taki« zu nennen, womit er einerseits das Wort »Arschloch« vermieden hätte, andererseits dem Quälgeist doch in aller Deutlichkeit mitgeteilt hätte, wofür er ihn hielt.Der Nachbar nahm den Zettel, stand auf und überreichte ihn der Lehrerin. Und Luis musste zehn Minuten draußen vor der Klassenzimmertüre stehen, zur Strafe für die Benutzung eines verbotenen Wortes.»So was Dummes!«, habe ich damals zum Luis gesagt, und ich habe nicht seinen Zettel gemeint. Wenn man es nur richtig sieht, dachte ich dann, ist es vielleicht am besten, man hat immer einige Privat-Schimpfwörter zur Hand, deren wahre Bedeutung man nur selbst kennt, niemand sonst. Denn das Wichtigste beim Schimpfen ist doch, dass einem selbst ein bisschen leichter wird ums Herz und ums Maul.So habe ich eine Zeit lang, wenn mir jemand die Vorfahrt nahm, immer ein kräftiges »Tika-Taki« zum Autofenster hinausgerufen.Der Sophie ist gestern das Eis, das sie gelutscht hat, aus der Hand gerutscht und auf den Boden gefallen, sodass sie es nicht mehr weiteressen konnte.»Ssseiße!«, hat sie gerufen.»›So was Dummes!‹, heißt es, Sophie, ›so was Dummes!‹«, sagte ich. »So was Dummes!, so was Dummes!, so was Dummes!«»Ssseiße, so was Dummes!«, rief sie.
Illustration: Dirk Schmidt