Das Beste aus meinem Leben

Morgens um halb sieben, es ist noch dunkel, gehe ich die Straße entlang zum Bäcker. Vor mir zieht der Zeitungszusteller sein Wagerl, er scheint sich verspätet zu haben. Er bleibt stehen, zerrt an Schnüren, die ein Zeitungspaket verschließen, reißt sie auf, öffnet die Plastikhülle, mit der die Zeitungen verhüllt sind, nimmt Zeitungen heraus, legt sie in den Wagen. Er macht aus den Plastikschnüren und der Folie ein Bündel, geht zum Rinnstein…… und legt das Bündel unter ein parkendes Auto.Habe ich richtig gesehen? ER LEGT DAS BÜNDEL UNTER EIN PARKENDES AUTO?Seit Monaten ärgere ich mich: dass Müll in unserer Straße herum- liegt. Dass jede Bäckerei Kaffee »to go« anbietet, aber nirgends Papierkörbe für die Becher zu sehen sind. Dass die halbe Stadtbevölkerung sich aus Pizzakartons ernährt, die so sperrig sind, dass sie, gäbe es Papierkörbe, von diesen nicht aufgenommen werden könnten. Dass eine Kneipe nach der anderen öffnet, aber nirgends ein Straßenkehrer zu sehen ist, der das nächtens Erbrochene der Betrunkenen wegputzen würde. Dass mannshohe Doggen ihre Leiber in entsetzlichster Weise über halbtoten Grünpflanzen an Straßenecken entleeren.Und nun sehe ich diesen Mann bei frischer Tat! Ich sage: »Wozu haben Sie Ihren Handkarren, in dem Sie die Folien verstauen könnten? Wozu gibt es in jedem Haus, in dem Sie Zeitungen zustellen, Müllcontainer? Wozu..?«Er macht sich, gebückt, an den Zeitungen zu schaffen, schickt einen Hundeblick nach oben, sortiert, nervös. Ein dicklicher Mann im Raschelanzug aus Ballonseide. Er wirkt, als hätte ich ihn getreten, als sei er es aber gewohnt, getreten zu werden.Ich werde bei der Zeitung anrufen, denke ich. Mich beschweren. Es geht so nicht weiter.Vor längerer Zeit habe ich bei der Stadtreinigung angerufen, ein surreales Gespräch, in dem ich erfuhr, dass meine Straße eine »Sieben-Uhr-Straße« sei, die bis sieben Uhr gereinigt worden sein müsse, dass aber alles, was nach sieben Uhr weggeworfen werde, liegen bleibe. Und dass es einen ausländischen Mitarbeiter gegeben habe, der nicht nur den Inhalt der Papierkörbe, sondern die Papierkörbe selbst weggeworfen habe, wodurch die Zahl der Körbe erheblich reduziert worden sei.Ich träumte danach von riesigen Straßenfegern, die unsere Straße morgens auf einer Seite anhoben und alles, was zur anderen Seite hinunterrutschte, mit Schaufelhänden in einen Schredder warfen. Ich träumte von einem gigantischen Staubsaugerrohr, vor dessen todbringender Öffnung ich durch die Straßen floh. Ich träumte von Kehrmaschinen, die mich über ein Flugfeld hetzten, wo sich von allen Seiten Kehrmaschinen näherten, bis ich umringt war, während Besen drohend kreisten.Wie dieser Zeitungszusteller geguckt hat… Wahrscheinlich hat er Angst um seinen Arbeitsplatz. Jedes Mal, wenn ein Prospektzusteller klingelt, mit Prospekten, die ich nicht will, die niemand will, überlege ich, ihm nicht zu öffnen. Dann denke ich, dass unten ein Prospektzusteller steht, der Geld verdienen muss, der mit Prospektzustellen vielleicht eine Familie zu ernähren hat – und öffne.Wie kann man sich über Müll in den Straßen so aufregen?, denke ich. Warum kannst du nicht darüber hinwegsehen? Wir sind nicht in Singapur, Gott sei Dank sind wir nicht in Singapur.Dann denke ich, dass Verkommenheit der Straßen sich in den Bürgerköpfen festsetzt und allgemeine Verkommenheit des Gemeinwesens nach sich zieht. Oder ist es umgekehrt? Ist die Vermüllung der Straße eine Folge..?Dann denke ich: warum ich mein Hirn vermülle mit Banalem. Mit blockwarthaftem Gedankengut.Dann gehe ich mit Paola die Straße entlang. An einer Trambahnhaltestelle quillt aus einem der letzten noch vorhandenen Papierkörbe Müll wie Lava aus einem Vulkan. Es ist, als käme der Müll nicht in den Papierkorb, sondern – im Gegenteil – dort heraus. Als spuckten Trambahnhaltestellenmüllkörbe Dreck in unsere Stadt statt ihn zu schlucken.Paola war gerade in Rom. Sie schwärmt. Wie schön Rom sei. Ich zeige auf den Müllkorb. Wie es hier aussehe. In Rom liege viel mehr Müll auf den Straßen, sagt Paola.Ich habe nicht bei der Zeitung angerufen.

Illustration: Dirk Schmidt