Schon öfter ist hier von sprachlich-kulinarischen Entwicklungen in aller Welt berichtet worden, wobei ich bescheiden darauf hinweisen möchte, dass nur diese Kolumne dank ihres einzigartig weit gespannten Korrespondentennetzes in der Lage ist, Entwicklungen der Weltküche aufzuspüren, von denen man anderswo nicht mal ahnt. Heute möchte ich nach längerer Zeit wieder auf ungewöhnliche gastronomische Ideen rund um den Globus hinweisen. Bitte bedenken Sie: Jedes Küchengenie hat namenlos begonnen, und was heute noch ohne Aufsehen in Quedlinburg oder der Bretagne aufgetischt wird, kann morgen schon in berühmten Restaurants Münchens, Hamburgs oder Berlins auf dem Teller liegen.
Ich habe mir erlaubt, die Zuschriften der Restaurant-Korrespondenten von Das Beste aus meinem Leben nach Länderküchen zu gliedern.
Deutsche Küche.
Hier ist von einer erstaunlichen Entwicklung zu berichten, zuerst von Familie B. bei einem Ausflug in Quedlinburg entdeckt, auf dem Weg zum Burgberg. Dort wurde neben Schweinebraten auch »Bauernmädchen mit Rotkraut und Klösse« angeboten. Kein Einzelfall! Denn in Kulmbach, im Bistro einer dortigen Metzgerei (Frau F. schickte mir das Inserat), gibt es: »Omas Saures Fleisch mit Baumwollnem Kloß«. Ist es zu fassen? Nach der Nouvelle Cuisine ein Nouveau Cannibalisme? Ob Oma ihren Beilagenkloß noch selbst gestrickt hat?
Italienische Küche.
Hier scheinen sich ähnliche Ideen Bahn zu brechen, wenn auch zurückhaltender. Eine Runde von Freunden (ich war leider nicht dabei) entdeckte auf Elba »Fisch mit Weib und frisches Tomatensoße« auf der Karte. Herrn W. aus Meran wurde im Hotel Corona in Tirano »Kotelett zur Mailänderin« angeboten (aber auch »Wird tollwütig Pennette« sowie »Ich schneide ein Gewinde zum grünen Pfeffer oder dem Gitterrost«). In Fiesole fand Frau M. aus Baden-Baden »Ausgemachtenudeltucke mit kleine Gemüse«, Frau S. aus Coburg las auf den Zattere in Venedig das Angebot »Nudelspein« im Menü und entschied sich dann lieber für »Wrüstel«. Und Frau D. aß zum Dessert in Desenzano »Tartufo schwarzer weißer Mann oder«.
Internationale Küche.
Hier möchte ich den Brief von Frau S. aus München zitieren, die auf der Isla Margarita in Venezuela eine »Sauce de tartare« sah, die auf Deutsch »Zahnstein sosse« hieß, wie immer sie hergestellt worden sein mag. Herr B. aus Aying weilte zu Recherchen im Hotel Prima Sol El Mehdi in Tunesien und entdeckte, dass man dort zu radikaler Ehrlichkeit, den Wein betreffend, gelangt ist, denn es wurde angeboten: »Tunesischer Wein (rot und geschönt)«. Ein Catering-Service aus Haimhausen bot, berichtet Frau F. aus Freising, »Chili con cane« an, Hundechili. Man hätte das eher in Asien erwartet.
Asiatische Küche.
Herr H. aus Wiesbaden kann per Foto beweisen, dass in der Mensa der Universität in Mainz im Frühjahr »Gerüchte aus dem Wok« angeboten wurden. Eine echte Gerüchteküche. Hält so schlank!
Französische Küche. Die gewagtesten Trends kommen in diesem Herbst aus Frankreich, wo Herr R. aus Mammendorf seinen Sommerurlaub verbrachte, in der Nähe von Carnac in der Bretagne. Hier scheint ein unentdecktes Genie am Werk, denn es wird angeboten, was in der Weltküche bisher unbekannt war: »Radhemmungen«. Niemand hat es bisher gewagt, »Radhemmungen« zu essen oder zu kochen, in Carnac aber werden sie auf souveränste Weise serviert und kombiniert, sowohl als Beilage eines Salattellers als auch zusammen mit »Ziegenkäse an den drei Parfüms«. Ziegenkäse, Parfüms und dazu dieser wohl zwischen Maschinenöl und Bremsbelag oszillierende Radhemmungsgeschmack, irgendwie dem Ich-schneide-ein-Gewinde-Gericht in Tirano verwandt – wuff!
Wie schnell solche Trends in Frankreich voranschreiten, mag die frisch eingetroffene Post von Frau L. aus Bochum belegen, die in der Camargue »Topf Formen bildet fraiche radhemmungen« auf dem Speiseplan sah, aber auch »Topf Formen des sünders fischsuppe, ausfugmasse von tomate, weibhan«, als wahre Sensation aber: »Kartoffeln am alten, grünem Salat Soße«.
Eines der Hauptgerichte in Carnac: »Das Ding des Chefs«. Leider war Herr R. nicht bereit zur Bestellung. Aber man hat ja noch öfter Ferien. Und Carnac samt Umgebung sollte ab heute auf der persönlichen Reisespeisekarte jedes Gourmets von Anspruch verzeichnet sein.
Illustration: Dirk Schmidt