Paola hat beim Skifahren ihr Handy verloren. Irgendwo muss es aus dem Lift gefallen sein, keine Ahnung, sie hat es zu spät bemerkt. Erst zwei Wochen zuvor war ich beim Skifahren in den Schnee gefallen. Dabei war mein Handy so feucht geworden, dass es nicht mehr funktionierte. Ich baute es auseinander, föhnte die Einzelteile, vergeblich.Ich musste ein neues Handy kaufen, das kostete Geld; ich musste dazu in die Stadt, das kostete Zeit; ich musste mit einem dieser frisch geklonten Handyverkäufer reden, das kostete mich den Verstand. Außerdem waren im alten Handy (nicht auf der SIM-Karte, halloho, im Handy selbst!) alle Telefonnummern gespeichert, die ich nicht auswendig weiß. Nun zu Paolas Telefon. Wir riefen es von meinem Handy aus an. Niemand antwortete. Es lag irgendwo im Schnee und rief »Hey, Mama, this that shit…«, denn Paolas Klingelton ist ein Song von den Black Eyed Peas. Dann kam uns der Gedanke, ein russischer Skifahrer könnte auf unsere Kosten seit Stunden mit seiner Geliebten in Wladiwostok telefonieren…»Wir müssen es sperren!«, rief Paola.»Die Nummer, unter der man Handys sperrt, ist in meinem alten Handy.«»Ruf die Vermittlung an!«»Österreichs Vermittlungsnummer kenne ich nicht.«Also meldete ich mich bei Bruno. Bat um Hilfe. Er werde das erledigen, sagte er. Kaum hatte ich aufgelegt, klingelte es, Paolas Nummer erschien, und jemand sagte: »Chast Du Chandy verrrlorrren?« Der Russe hatte meine Nummer auf dem Display gesehen, nachdem wir angerufen hatten.Ich gab Paola das Telefon. Sie vereinbarte radebrechend die Rückgabe. Man werde weiter Skifahren, später telefonieren, dann bekomme sie es zurück. Sie legte auf.»Wie willst du den nachher anrufen?«, fragte ich. »Dein Handy ist jetzt gesperrt.«»Dann müssen wir es entsperren!«Ich rief Bruno an. Er sagte, das Handy werde entsperrt, funktioniere aber erst wieder, wenn man es ausschalte und wieder anmache.»Das geht nur mit PIN-Nummer. Die hat der Finder nicht«, sagte ich zu Paola. »Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte: Er kann dich nicht anrufen, um dir das Handy zurückzugeben. Die Gute: Er kann auch seine Geliebte in Wladiwostok nicht anrufen. Ich bin sicher, er wird’s an der Bergbahnkasse abgeben.«So war es aber nicht. Das Handy tauchte nie wieder auf. Wir dachten gemeinsam darüber nach, dass der Verlust eines Handys einem nähergehe, als man möchte. Es sei ein persönlicher Gegenstand, dachten wir gemeinsam, fast wie ein Körperteil. Wenn es nicht da sei, habe man das Gefühl, man sei eines Sinnes beraubt.Melancholisch sangen wir: »Hey, Mama, this that shit…« Paola musste ein neues Handy kaufen, musste in die Stadt, musste mit einem geklonten Handyverkäufer reden. Luis hat auch ein Handy. Er ist zwölf. Als ich zwölf war, hatte ich kein Handy. Wenn ich ein Handy gehabt hätte, wäre es eine Sensation gewesen, ich wäre von einer Talkshow in die andere gereicht worden, wenn es damals Talkshows gegeben hätte. Da ich der einzige Handybesitzer der Welt gewesen wäre, wäre ich aber als jemand, der auf der Straße in ein Gerät spricht und behauptet, auf diese Weise mit seiner Mutter reden zu können, eher in einem Heim für Verwirrte gelandet.Nun Folgendes: Der Luis ist an einem Wintermorgen im Februar, an dem die Stadt von Blitzeis überzogen war, gestürzt und so aufs Handy gefallen, dass es kaputt ging.Warum Zwölfjährige ein Handy brauchen? Sechs Gründe. Erstens: um Klingeltöne überspielen zu können. Zweitens: um Musik hören zu können. Drittens: um Spiele spielen zu können. Viertens: um die Uhr ablesen zu können, denn es gibt keinen Zwölfjährigen, der eine Armbanduhr hätte. Fünftens: um jederzeit von ihren Eltern gefragt werden zu können: Wo bist du? Sechstens: um sich selbstständig fühlen zu können.Ich musste für Luis ein neues Handy kaufen, das kostete Geld, ich musste dazu in die Stadt… Dieser Winter hat mich drei Handys gekostet. Schön, dass er nächste Woche zu Ende geht.
Illustration: Dirk Schmidt