Der Baum der Erkenntnis

Im Wahlkampf sind TV-Duelle nur die zweitbeste Lösung, findet Axel Hacke. Viel besser wäre ein kleines Rollenspiel – wichtigstes Utensil: Eine Kettensäge.

Den Lokalnachrichten des Fernsehsenders WNEP 16 entnahm ich, Raymond Mazzarella, wohnhaft in Pittston, Pennsylvania, habe sich über einen Baum auf dem Nachbargrundstück geärgert, weil dessen Äste über seinen Parkplatz hingen und damit seinem, Mazzarellas, Auto nicht guttaten. Baumharz tropfte aufs Wagenblech.

Mazzarella schnappte sich eine Kettensäge und fällte den Baum. Das war rechtswidrig, jedoch war dies im Folgenden nicht Mazzarellas vordringliches Problem. Denn der Baum stürzte, was Mazzarella im Zorn nicht bedacht hatte, auf sein eigenes Haus und machte es unbewohnbar.

Wir sehen: In den Fragen des Zusammenlebens sollte man sich nicht von Gefühlswallungen leiten lassen. Als die Briten sich für den Brexit entschieden, handelten sie wie Mazzarella: Sie waren so aufgebracht über die Äste des europäischen Baums, die über ihrer Insel hingen, dass sie … Na, sie haben nun jedenfalls selbst den größten Schaden. Könnte man übrigens große Fernsehdebatten ersetzen durch ein Rollenspiel? Eine Show namens The Mazzarella-Problem? Als sich neulich Trump und Clinton trafen, musste man hinterher alle möglichen Details analysieren: Trump habe, so Körpersprachkundler Dirk W. Eilert in der ›Welt‹, mit Daumen und Zeigefinger einen Ring gebildet (Überlegenheit signalisierende Rhythmusgeste!), mit dem Finger auf Clinton gezeigt (Dominanzgeste!), andererseits sei sein Stress »an einer erhöhten Blinzelrate der Augen zu erkennen gewesen«.

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Rhythmusgeste! Dominanzgeste! Blinzelrate!

Mein Vorschlag: Jeder Kandidat wird (analog zum Dschungelcamp) eine Woche lang in einem großen weißen Haus einquartiert, über dessen Parkplatz ein auf dem Nachbargrundstück stehender, harztriefender Baum seine Äste breitet. Dann wollen wir sehen, was geschieht.
Trump, in Richtung der Kameras sprechend: Ich werde eine Mauer bauen, die höher als der Baum ist. Der Nachbar wird diese Mauer bezahlen. Ich bin so reich, dass ich das Nachbargrundstück kaufen werde. Er geht zum Nachbarn hinüber, hämmert an die Tür. Der Nachbar macht nicht auf. Trump spricht: Ich werde dem Nachbarn die Scheiße aus dem Leib bomben. Er ist hässlich, hat zu wenig Energie, schwitzt. Ich hingegen habe schöne Körperteile. Er geht wieder zum Nachbarn, hämmert ans Türholz, nobody there. Trump, vor den Kameras, während Harz auf sein Toupet tropft: Ich würde keinen nuklearen Erstschlag in Erwägung ziehen, ich bin keiner, der Streit anfängt. Er hat angefangen! Er!

Trump beginnt, nervös an der Kettensäge zu fummeln.

Clinton: Kommt aus dem Haus, zeigt lachend mit dem Zeigefinger auf jemand im Publikum, dann brennt tagelang Licht im Arbeitszimmer. Man sieht sie, über Akten gebeugt, das Problem studieren. Sie erscheint wieder, zeigt erneut lachend mit dem Zeigefinger auf das Publikum, verschwindet, liest, telefoniert mit der UNO, lässt einen Carport errichten, dessen Dach das Harz auffängt, hat eine Videokonferenz mit Putin, bekommt Besuch vom chinesischen Staatspräsidenten, zeigt in einer Arbeitspause wieder mit dem Zeigefinger auf Leute, schwankt müde ins Arbeitszimmer zurück. Nach drei Tagen schickt sie eine Mail mit sorgfältig ausgearbeiteten Vorschlägen an den Nachbarn.

Leider von einem privaten Server.

Na ja, so geht’s auch nicht, oder?

Was ist überhaupt aus Raymond Mazzarella geworden? Er geriet im weiteren Verlauf mit einem anderen Anwohner so aneinander, dass er diesen mit einem Baseball-Schläger prügelte, worauf nun wenigstens für des ja obdachlos gewordenen Mazzarellas Unterkunft gesorgt war. Polizisten erschienen und brachten ihn ins örtliche Gefängnis. Die einzige offene Frage: Was wäre aus unserem Mann geworden, hätte er eine schwarze Hautfarbe?

Aber das ist nun ein ganz anderes Thema.

Illustration: Dirk Schmidt