Im Wort »Automobil« stecken das griechische autós, das »selbst« bedeutet, und das lateinische mobilis für »beweglich«. In diesem Sinn harrt das Automobil der Vervollkommnung. Zwar kann es sich ohne Hilfe von außen, ohne Pferd bewegen. Doch kann es sich nicht selbst lenken.
Hier kam der Mensch ins Spiel, als Notlösung. Jemand musste dafür sorgen, dass Autos nicht gegen Wände fahren sowie in Seen versinken. Doch ist der Mensch unvollkommen, er wird müde, spricht dem Alkohol dazu, auch hat er die Neigung, zur selben Zeit wie andere aufzubrechen.
Diese Zwischenzeit neigt sich dem Ende zu. Bald werden Autos wirklich Automobile sein. Sich selbst lenken! Sie werden von Computerhirnen stau- und unfallfrei an ihre Ziele pilotiert, während der erwähnte Mensch drinnen an seiner Entwicklung vom Vorfahrtnehmer, Radfahrerbedroher und sprechenden Schimpfwortarchiv zum sanften Mailchecker, Filmegucker und Smoothietrinker arbeitet.
Es ist noch nicht ganz so weit. Doch längst haben sich die Machtverhältnisse im Wagen verändert, sie kippen. In meinem Auto ertönt, schnallt der Fahrer sich nicht an, ein laut pingendes, mahnendes Geräusch. Man kann das in einem Akt der Auflehnung aussitzen. Aber dazu bin ich zu schwach, so füge ich mich der Vernunft. Bruno, mein alter Freund, fuhr mit einem Mietwagen von München nach Berlin. Schon kurz vor Nürnberg erschien vor ihm auf den Armaturen eine blinkende Kaffeetasse, die ihm sagen wollte, er sei müde. Er sei aber nicht müde gewesen, sagte Bruno, eher gekränkt, schließlich fahre er seit dreißig Jahren unfallfrei.
Wann werde es so weit sein, rief Bruno, dass das Auto einfach stoppe und sich erst weiterbewege, wenn er den Genuss einer Tasse Espresso nachweise? Wann werde er vor jeder einzelnen Fahrt dem Auto selbst durch Atemkontrolle beweisen müssen, dass er keinen Alkohol getrunken habe?
Was willst du?!, antwortete ich, in manchen Autos weckt dich ein Attention Assist durch Sirenengeheul. Das Auto beobachtet dich, es merkt eher als du, wenn du müde bist. Die Blinketasse ist kalter Kaffee. Schnee von gestern.
Wie gesagt, bald lenkt das Auto selbst. Wo kein Mensch, da kein Risiko. Der Autofahrer von morgen kann im Vollrausch auf der Rückbank schnarchen, es ist dem Auto ganz egal. Überhaupt: Wer heute wirklich der Lenkung bedarf, ist nicht mehr das Auto selbst, sondern eben der Mensch. In den Zeitungen liest man den Begriff Nudging, das kommt aus der Verhaltensökonomie, es bedeutet »Anstupsen«. Verhaltensökonomisch gesehen tut der Mensch oft, was ihm schadet, er raucht, trinkt, fährt Auto, trennt Müll nicht, bisweilen alles zugleich.
Nudging versucht ihm das abzugewöhnen, durch dezente, kaum sichtbare Stups-Maßnahmen, sei es, dass das Obst in der Kantine attraktiver platziert ist als die Schokomousse, sei es, dass auf dem Gehsteig grüne Fußspuren zu den Mülleimern führen, sei es, dass Zigarettenschachteln ein einziger Warnhinweis vor ihrem Inhalt sind.
Immerzu ruft Mutter Staat: Junge, setz dir eine Mütze auf!
Letztlich muss der Mensch begreifen, dass er auch nur ein Maschine ist, ein sterblicher Apparat, der nach den Regeln der Vernunft gewartet werden muss. Man kann ihn nicht einfach sich selbst überlassen, dazu ist er ja auch zu teuer. In der Maschinenwelt leben heißt: nach den Regeln der Maschinenwelt leben. In der Nudging-Welt leben heißt: Du bist bloß ein Individuum, wir wissen besser, was gut ist für dich. Um dein Glück kümmern uns lieber wir, du machst da zu viele Fehler. Interessante Frage, was beim perfekten Automobil mit dem Lenkrad passiert. Verschwindet es? Oder wäre es nicht passender, wenn, wie in Kinderkarussells üblich, jeder Sitz ein Lenkrad bekäme, das man drehen kann, wie man will – ohne dass auch nur das Geringste geschieht, während sich der Drehende lachend einfach des Drehens freut, ohne dass ihm wichtig wäre, dass . . ?
Illustration: Dirk Schmidt