Eine Kleinstadt eine halbe Stunde südwestlich von Stuttgart, ein Stück weiter fängt der Schwarzwald an. Ein Einfamilienhaus in einer Sackgasse. Jägerzaun, gestutzte Rosen. Hildegard und Bernhard Raiser sitzen am Esstisch, über Eck. Auf dem Tisch ein paar Kekse, diverse Tablettenschieber in drei Stapeln, frische Blumen in einer Vase, an den Wänden gerahmte Ölgemälde. Das Pflegebett von Bernhard steht so, dass er von da aus in den Garten schaut.
SZ-Magazin: Wie war das, Kennenlernen in der Nachkriegszeit?
Bernhard: Ich war 17, als der Krieg zu Ende war. Heißt: Die Sturm- und Drangzeit habe ich als Luftwaffenhelfer und Soldat verbracht, ich habe erst mit zwanzig Abi gemacht. Wir waren ausgehungert nach Vergnügen. Kennengelernt haben wir uns, als ich in den Semesterferien 1952 bei Bosch ein Praktikum gemacht habe. Da war diese junge Dame, eine technische Zeichnerin...
Hildegard: Scheibenwischerkonstruktionen hab’ ich gemacht!
Bernhard: Sie also das Mädle im weißen Kittel, mit ihren hochhackigen roten Schuhen – mit denen ist sie schon aus dem Rahmen gefallen! Wir haben dann beim Mittagessen geblinzelt.
Hildegard: Er hat immer versucht, es so hinzudrehen, dass wir gemeinsam raus sind aus der Kantine.
Bernhard: Irgendwann haben wir uns zum Spaziergang auf dem Hoppenlau-Friedhof getroffen in der Mittagspause. Aber immer per Sie!
Hildegard: Manchmal haben wir am Wochenende einen Fahrradausflug gemacht. Ins Kino konnten wir selten, wir hatten ja kein Geld.
Bernhard: Ich habe am Wochenende abends Lottoscheine ausgewertet, 1,17 Mark pro Stunde gab es da. Das war dann das Taschengeld für die Woche.
Hildegard: Aber manchmal haben wir uns ein Croissant geleistet. Im Café »Mettenleiter« (sagen beide gleichzeitig).
Bernhard: Viel Zeit hatten wir ja nicht, damals hat man samstags noch gearbeitet.
Hildegard: Aber ich hatte eine eigene Wohnung. Die Toilette musste ich mir mit der Vermieterfamilie teilen, aber immerhin.
Bernhard: So konnte man auch mehr Sex haben. Die anderen Mädchen, die ich vorher so vierteljahresweise hatte, haben wie ich noch zu Hause gewohnt.