Grönggden und ränschen

Als unser Autor vor vielen Jahren das Wort "röntgte" in einer Kolumne verwendete, wusste er noch nicht, welche Folgen das haben sollte: Aus einem kleinen Wort wurde eine große Obsession.

Vor vielen Jahren kam in einer Kolumne an dieser Stelle einmal das Wort »röntgte« vor, »der Arzt röntgte mein Becken« hieß der ganze Satz. Nichts Besonderes. Aber hin und wieder trage ich den Text bei einer Lesung irgendwo vor, und da ist das Wort »röntgte« schon eine Herausforderung, also, man muss es nur mal laut vor sich hin sagen und dabei versuchen, jeden Buchstaben zu seinem Recht kommen zu lassen. Röntgte. Röntgte. Röntgde – nein, nein, eben nicht. Nicht schludern, und das zweite t weich machen, das g muss vielleicht etwas härter werden, weiter vorn im Mund gesprochen, röntkte, röntckte. Und dann das zweite t nicht vergessen, bitte.

Röntgte.

Nicht ganz leicht also, ein g zwischen zwei t, man muss von den Zähnen blitzschnell zurück an den Gaumen und wieder vor beim Sprechen, nicht wahr?

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Ich war dann mal in Münster, las und las, auch das Wort »röntgte« – und hinterher kam ein Münsteraner zu mir und sagte: »Wenn Sie in Münster leben würden, könnten Sie auch einfach sagen ›röntchte‹.« So reden die Leute dort.

Das hat mir gefallen an der Stadt. Dass die Menschen sich an entscheidenden Stellen das Leben leichter zu machen wissen.

Ich fuhr dann von Münster weiter nach Aachen und las auch dort »röntgte«. Worauf ein Aachener an mich herantrat und sagte, in Aachen würde man »röntschte« oder sogar nur »rönschte« sagen, eine weitere Vereinfachung. Auch die Aachener verstehen also zu leben.

Seitdem hat sich das Ganze für mich zu einer Obsession ausgewachsen: Wohin ich auch komme, ich frage die Leute, wie sie »röntgte« aussprechen. Ich könnte mittlerweile, weil ich ja dauernd irgendwo bin, eine Art Röntgte-Sprachatlas herausgeben. Der Sachse zum Beispiel sagt »ränschen« und »ränschte«: Er sei »bein Ränschen« gewesen. Der Oberpfälzer macht aus dem »röntgen« ein »rennchn«, ja, nach einer Lesung in Windischeschenbach schrieb mir ein dortiger Vertrauensmann, man solle auf das e vielleicht noch einen Akzent setzen: »rènnchn«. Aus »geröntgt« werde dann »grènnchd«, eine schöne Folge von fünf Konsonanten. Und der Berliner? Sagt auch »röntchte«, wie der Münsteraner.

Der Bayer schließlich, so mein alter Freund H. aus Altötting, kenne überhaupt kein Imperfekt, es existiere im Bairischen nun mal nicht. Weshalb die Formulierung »er röntgte« zu »er had grönggd« führe, wahrscheinlich sogar zu »und nacha had er mi grönggd«. Vermutlich würde aber ein Bayer, so H., schon das Verb »röntgen« überhaupt vermeiden und zur Formulierung »nacha hams mi aa no durchleicht« greifen. Was zur Frage führt, warum Wilhelm Conrad Röntgen überhaupt so hat heißen müssen. Dieter Durchleuchter – das hätte uns manches erspart.

In Altötting habe es übrigens, sagt H. weiter, was das »ntgt« angehe, einmal einen Wettbewerb gegeben, wer die größte Ballung von Konsonanten zustandebrächte. Den Sieg habe ein Satz davongetragen, der zum Verhauen der Frau Gschwendtner auffordere: »Dreschts d Gschwendtnerin!« Elf Konsonanten in Folge, bei auch insgesamt relativ geringem Vokalaufkommen!

Zum Schluss habe ich mir angehört, wie Menschen aus anderen Ländern das Wort »Röntgen« aussprechen. Sehr schöne Resultate! »Räntgän« sagte der Amerikaner, »Rontgän« der Brite, »Rrräntgän« der Russe, ganz korrekt »Röntgen« der Franzose, schließlich »Rönchen« die Spanierin, wobei zu beachten ist, dass das ch wie das J in José ausgesprochen werden muss, als Rachenlaut. Man sollte also besser »Rönjen« schreiben, wenn es ums Spanische geht.

Am besten gefallen hat mir »Wenchn«.
Das war Chinesisch.

Illustration: Dirk Schmidt