Piep-Show im Grünen

Beim »Birding« geht es darum, so viele Vogelarten wie möglich in freier Wildbahn zu beobachten. Manchmal haben die Vögel dabei mehr an als die Beobachter.

Eine Angelegenheit, der wir in Deutschland zu wenig Aufmerksamkeit schenken, ist die Vogelbeobachtung. In Nordamerika ist das eine große Sache, mancher hat vielleicht vor Jahren den Film The Big Year mit Steve Martin, Jack Black und Owen Wilson gesehen, da ging es um diesen großen jährlichen Wettbewerb gleichen Namens: Wer hat im Verlauf eines Kalenderjahres mehr Vogelarten gesehen? (Oder gehört, das geht auch.) Der Rekordhalter hieß bis Mitte dieses Jahres Neil Hayward, er hatte 2013 von den etwa 1000 bei der American Birding Association registrierten nordamerikanischen Vogelarten genau 749 Repräsentanten beobachtet, also gesehen oder belauscht, ihr Tschilpen, Piepen, Krächzen, Zwitschern, Kollern, Trillern vernommen, auch ihr Schnattern, Quaken, Pfeifen, Keckern, Gackern, schließlich auch das Krähen, Schlagen, Gurren, ja, ihr Schnarren, Klappern, womöglich gar das Quorren (der Balzruf des Schnepferichs) sowie das Wülen und Ülen, an dem der Fachmann den, in Amerika allerdings nicht verbreiteten, Wiedehopf erkennt.

Heuer jedoch ist Hayward von zwei Männern überholt worden, John Weigel und Olaf Danielson: Der erste hat 770 Vogelarten auf dem Zettel, der zweite 767, und das Jahr ist längst nicht zu Ende, ein gutes Jahr übrigens, denn das Wetterphänomen El Niño lässt viele Vögel nordamerikawärts ziehen, die sonst nicht dort wären. Weigel und Danielson sind extreme birders, wie der Amerikaner in jener ihm eigenen knappen Deutlichkeit sagt, der wir im Deutschen nicht entsprechen können. Extremvogler? Vogelbeobachter höchsten Grades jedenfalls, die ihr Leben dem birding geweiht haben, wobei im Falle Danielson zu erwähnen wäre, dass er seiner Tätigkeit oft nackt nachgeht, ein nude birder, wie das Magazin The Scientist schrieb, ein Nacktvogler.

Der Mann ist anscheinend ein großer Exzentriker, Sohn schwedischer Immigranten, Arzt, Buchautor, Kunstsammler, Fotograf… Offenbar nimmt er sogar Nackt-Trauungen vor, ich weiß bloß gerade nicht, im Auftrag welcher Kirche. 2013 beobachtete er 594 Vogelarten au naturel, wie das Fachmagazin Audubon schrieb, »mit anderen Worten, die Vögel hatten mehr an als er«. Was dieses Jahr angeht, so bleiben die Quellen unklar, es scheint aber, als wäre er doch des Öfteren bekleidet. Näheres ließe sich nur nachweisen, würde man die Vögel, denen er nachstellt, mit Kameras ausrüsten, die unseren Mann filmten, eine Piep-Show neuer Art. Ein Danielsoning.

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Wer im Big Year vorne mitmischen will, muss sein Leben der Sache weihen, die Leute sind ununterbrochen unterwegs. Als Weigel und Danielson im Juli dieses Jahres kurz nacheinander Haywards 749er Rekord brachen und ihre jeweils 750. Vogelart sichteten, war das im Falle Weigels ein Graumantel-Sturmtaucher vor der kalifornischen Küste nahe der Stadt Half Moon Bay, bei Danielson eine Rotgesichtscharbe aus der Familie der Kormorane auf der Sankt-Paul-Insel im Beringmeer. Da muss man ja auch erst mal hinkommen. Das Tolle ist, dass die Wettkämpfer im Big Year nicht per Foto-, Film- oder Ton-Dokument beweisen müssen, welchem Vogel sie begegnet sind, nein, sie müssen es einfach glaubhaft niederlegen und den Leuten von der American Birding Association mitteilen, die eine solche Meldung dann anerkennt oder nicht. Es gibt eine Liste von Regeln, auch einen Ethik-Code, aber es sind keine Proteste bekannt, keine Auseinandersetzungen, alles läuft zivil und in Ruhe ab. Man stelle sich das im Fußball vor: keinerlei Betrug, keine Strafraumschwalben, keine Fouls. Man meldet ein Tor, wenn man eines geschossen hat. Hat man keines erzielt, meldet man es nicht.

Unvorstellbar.

Aber in der Welt der Vogelbeobachter scheint es Alltag zu sein, man tut, was man liebt, ehrlich, ohne Hintergedanken und doch im Wettstreit. Weil das so ist, wollen wir die Hoffnung auf die Menschheit trotz aller gegenwärtigen Entsetzlichkeiten fürs Erste nun doch nicht aufgeben.

Illustration: Dirk Schmidt