In letzter Zeit interessiere ich mich wieder mehr für Ozeanüberquerungen mit Hilfe von Ruderbooten, aus aktuellem Anlass, aber dazu später.
Es ist viele Jahre her, dass ich David W. Shaws Die Eroberung des Horizonts las. In diesem Buch geht es um George Harbo und Frank Samuelsen, zwei aus Norwegen stammende, doch nach Amerika emigrierte Fischer, die am 6. Juni 1896 in New York in See stachen, um den Atlantik zu bezwingen, in einem Ruderboot namens Fox, allein, ohne Segel, ohne Motor, nur mit der Kraft ihrer Arme.
55 Tage später erreichten sie die Scilly-Inseln vor Cornwall, weitere sieben Tage später Le Havre, ihr eigentliches Ziel, nach einer unfassbaren Strapaze. Über den 7. Juli, an dem die Fox bei einem Sturm randvoll mit Wasser geschlagen war, heißt es: »Die Männer waren zerschlagen, zerschunden, hungrig und froren bis auf die Knochen. Ihre Zungen waren angeschwollen, ihre Lippen aufgesprungen. Die Arbeit an den Riemen hatte die Hornhaut in ihren Handflächen durchgescheuert. Die Haut an ihren Nasenspitzen hatte sich gelöst, und jede Berührung schmerzte höllisch.« Einmal brannte das Boot beim Kaffeekochen beinahe ab. Harbo sagte dazu nur: »Sah einen Augenblick lang ziemlich gefährlich aus.«
Der Rekord, den Harbo und Samuelsen aufstellten, ist auch heute, 120 Jahre später, ungebrochen. Es dauerte siebzig Jahre, bis überhaupt jemand Ähnliches schaffte: 1966 brachen zwei Boote in den USA zu einem Wettrennen auf, die English Rose III mit zwei Fallschirmjägern namens Ridgeway und Blyth und die Puffin mit zwei Journalisten, die Johnstone und Hoare hießen. Von den beiden Presseleuten fand man später nur das Boot und ein Logbuch, dem zu entnehmen war, dass sie sich nicht vertragen hatten: »Wir stritten uns mit unerhörter Heftigkeit. Ein Fernglas flog, eine Faust schlug auf einen Backenknochen, ein Schwall von Beleidigungen vor dem leeren Horizont.«
Die beiden Ex-Soldaten Ridgeway und Blyth schwiegen die meisten Zeit. Wenn es ihnen nicht gut ging, rasierten sie sich wortlos. Dafür hörten sie im Meer Hunde bellen und halluzinierten zwölf Meter lange Seeschlangen. Nach 91 Tagen erreichten sie Irland.
Großartige Geschichten! Der französische Arzt Alain Bombard fuhr 1952 mit einem Schlauchboot (gut, er ruderte nicht, sonderte segelte) von Gran Canaria nach Barbados und behauptete, nur rohen Fisch gegessen, die daraus gepresste Flüssigkeit, sonst nur Salzwasser getrunken zu haben, das sei möglich. Er notierte: »Die schreckliche Diarrhöe reibt mich vollkommen auf, dazu dauern die Blutungen an. Ich wage kaum noch, etwas zu essen, und wenn das so weitergeht, werde ich tot sein, bevor mich irgendein Schiff findet. Ich verstehe nichts mehr, ich weiß nicht, wo ich bin.« Die Französin Maud Fontenoy ruderte 2003 als erste Frau von West nach Ost über den Atlantik und hielt fest: »Mein Kopf schlägt an die Kuppel aus Plexiglas, ich werde halb ohnmächtig. Eisiges Wasser strömt herein, meine Segeljacke schwimmt in einer Brühe aus Meerwasser und Erbrochenem. Es ist mein erstes Kentern.«
Und nun, liebe Freunde, ist kürzlich John Beeden aus Sheffield in Nordengland als Erster allein und ohne Unterbrechung von San Francisco nach Australien gerudert. Was sagte er, als er ankam? »Ich hatte mir nicht vorgestellt, dass es so schwierig werden würde …Die Sache hat mich nicht umgebracht, aber sie hat es ein paar Mal versucht … Es gab Momente, in denen ich dachte, ich schaffe es nicht.«
Aber er hat es geschafft. Man kann tatsächlich ahnungslos losfahren, obwohl man jede Menge Ahnung haben müsste, man kann mit dem Satz »Ich schaffe das« oder »Wir schaffen das« auf den Lippen ins Ungeheure aufbrechen, naiv, ohne sich wirklich eine Vorstellung zu machen, was da auf einen zukommt. Und man kann es schaffen.
Vielleicht geht es nur so?
Na ja, manche haben es auch nicht geschafft, aber das waren, wie gesagt, Journalisten.
Illustration: Dirk Schmidt