In meiner Kindheit gab es bei uns zu Hause freitags zum Mittagessen Fisch. Heilbutt. Rotbarsch. Kabeljau. Große Stücke, weißes Fleisch, das bei der ersten Berührung auseinanderfiel, Gräten, fade. In meiner Jugend kämpfte ich dafür, freitags Bratwurst zu bekommen. Scharf angebraten. Oder wenigstens Fischstäbchen, auch scharf angebraten, mit ungefähr so viel Ketchup wie Fischstäbchen.
Man sieht: Fisch war nicht so mein Ding. Niemand aus meiner Familie hätte gedacht, dass aus mir eines Tages eine Fischsuppenjägerin würde. Dabei ist der Witz an Fischsuppe genau der: Die Stücke des jeweiligen Fisches sind klein, sie haben keine Gräten (keine Ahnung, warum, aber in einer Fischsuppe findet man so gut wie nie eine Gräte), und der Geschmack von verschiedenen Fischen, gemischt mit dem Sud von Muscheln und Krustentieren, ist auch viel überzeugender als der eines einzelnen gebratenen oder gekochten Fisches.
In meiner Lieblingsfischsuppe findet sich sogar kein einziges Stück Fisch: Für die Soupe de Poisson Provençale werden Fische und Gemüse durch ein Sieb passiert, sodass nur der sämige, dunkelrote, köstliche und wirklich garantiert grätenfreie Sud zurückbleibt. Ins Original gehören vor allem Felsenfische aus dem Mittelmeer wie Roter Drachenkopf und Petermännchen, die einen intensiven Geschmack abgeben. Aber ich habe eine gute Soupe de Poisson auch schon mit Fischen hingekriegt, die man bei uns kaufen kann. Da muss man sich halt mit Krustentierresten helfen. Die Gemüse: Lauch, Zwiebeln, Knoblauch, Sellerie und vor allem Tomaten, die nicht gehäutet werden müssen, weil auch sie durchs Sieb kommen.
Die Soupe de Poisson Provençale ist nicht nur so herrlich, weil sie ohne Fischstücke auskommt. Sie zu essen ist eine Zeremonie. Zur Suppe wird ein Tablett mit gerösteten Baguettescheiben, einem Töpfchen Rouille und einer Schale mit geriebenem Gruyère serviert. Während des Essens bestreicht man immer wieder ein, zwei, drei der Brotscheiben mit Rouille, bestreut sie mit Käse, legt sie in den Teller, lässt sie ein bisschen durchziehen, bis der Käse anschmilzt, das Brot aber nicht zu labberig wird, und isst sie zusammen mit der Suppe. Das macht nicht nur Spaß und ist unfassbar lecker, die Suppe wird auch durch die Rouille immer pikanter.
Als Rouille wird heute meistens eine selbst gemachte Mayonnaise aus Eigelb und Öl mit viel Knoblauch und Cayennepfeffer ausgegeben. Ursprünglich wurde sie jedoch nicht mit Ei zubereitet, sondern mit einer gekochten Kartoffel, wie viele alte Saucen. Man zerkleinert Knoblauch und scharfe rote Pfefferschoten im Mörser, mischt die Masse in die weichgedrückte Kartoffel und gibt Fischbrühe, Safran und Olivenöl dazu. Der Name Rouille, französisch für Rost, bezieht sich auf die orangerote Farbe der Sauce.
Die Franzosen essen Rouille auch zur Bouillabaisse, einer Spezialität mit möglichst großen Stücken Fisch darin. Ich finde Rouille und Brot und Bouillabaisse zu mächtig. Und große Stücke Fisch überschätzt. Die Soupe de Poisson Provençale hingegen, die ohne Rouille nur eine Vorspeise oder ein Imbiss wäre, wird so zum Hauptgericht. Außerhalb Frankreichs bekommt man meine Lieblingssuppe eher selten. Eines Tages habe ich trotzdem angefangen, auch anderswo Fischsuppe zu bestellen. Mit sehr guten Ergebnissen. Auf meinen Plätzen zwei bis fünf stehen zurzeit:
– die Oostender Fischsuppe, das ist eine leicht tomatige Brühe mit Nordseefischen wie Steinbutt, Seeteufel, Rotbarbe, Krabben, Muscheln und Crème fraîche
– die Bergensk Fiskesuppe aus der norwegischen Hafenstadt Bergen, in der ich nie war, aber in Oslo, und da steht die Suppe auf den Speisekarten der Restaurants. Die Basis ist Lachs, der ausgekocht und durch ein Sieb passiert wird. Im Sud gart man Sellerie und Möhren und gibt zum Schluss Sahne und kleine Fischstücke und Krabben dazu.
– die Büsumer Krabbensuppe, quasi eine Fünf-Minuten-Suppe aus Krebspaste, mit Dill, Cognac und vielen Nordseekrabben.
– und Muscheln Rheinische Art. Ist jetzt natürlich streng genommen keine Fischsuppe, und letzten Endes schmecken die Muscheln ja so mittel, wenn man ehrlich ist. Die Belohnung ist der Sud aus Weißwein, feinsten Gemüsestreifen, Petersilie. Dazu Schwarzbrot mit Butter.
Foto: Markus Burke, Foodstyling: Akos Neuberger