Ein Drink wie eine Stoßlüftung

Als sich unsere Autorin in einer Nobelbar mal besonders deplatziert fühlte, war ein Cocktail namens »Bronx« ihre Rettung – auch weil er eine Zutat enthält, die bei vielen Barleuten eher verpönt ist.

Vor 14 Jahren bestellte unsere Kolumnistin in einer High-Society-Bar einen »Bronx«.

Foto: Erli Grünzweil

Meinen ersten Cocktail habe ich mit 19 in einer Bar getrunken, in der außer mir nur Immobilienmakler und Adlige und Drogendealer mit Jagdschein rumhingen, Männer in Ledersesseln, keine Frauen, zumindest erinnere ich mich nicht an sie. Ich wurde an diesem Abend versetzt. Das weiß ich noch. Aber nicht mehr, von wem. Den Grund dafür, dass ich überhaupt an so einem Ort verabredet war, habe ich in der vorigen Kolumne zum Thema Grauburgunder angedeutet. Nach einer als ökonomisch abgehängt zu bezeichnenden Kindheit wurde ich als Teenager in Räume katapultiert, in denen verschwenderischer Luxus herrschte, mein Verhältnis zu Alkohol ist deshalb von massiven sozialen Spannungen geprägt, die mir in ihrer Absurdität erst jetzt, 14 Jahre später, im Zuge der journalistisch-essayistischen Auseinandersetzung mit Getränken im Allgemeinen, vollständig bewusst werden.

Ich saß mit 19 also am Tresen in diesem Upperclass-Laden, zerrissene Jeans, nehme ich an, die Rechtfertigung dafür, mich dort überhaupt aufzuhalten, brach in dem Moment ein, in dem mir die Person, die mich dorthin bestellt hatte, per SMS schrieb, sie habe Migräne. Ich hätte gehen können und wollen und müssen. Ich ging aber nicht, weil sich das Gefühl aufdrängte, dass mein Umgang mit dieser Situation in Relation zum Umgang mit meinem gesamten bevorstehenden Erwachsenenleben stand, ich musste es schaffen, mir diesen Ort als meinen eigenen zu erschließen, trotz allertiefsten Unbehagens, trotz des Schamgefühls, das jeder kennt, der schon mal als klar zu identifizierender Fremdkörper allein in einer Restauration ausharren musste. Gehen hätte Aufgeben bedeutet, obwohl ich bis heute nicht genau weiß, was.

Ich blieb also sitzen. Studierte die Karte. Entschloss mich zu einer Art Kontrabestellung. Was ein »Manhattan« war, wusste ich. Es gab aber auch einen Drink namens »Bronx«. Die Bronx hielt ich für die ästhetische Antithese zu jeder Form von Upperclass-Stabilität, ich brachte sie mit Bildern von Verwundung, Überleben und ausgebrannten Mietskasernen in Verbindung, die mir als die Person, die ich glaube zu sein, in dem Kontext, in dem ich gerade glaubte zu sitzen, paradoxerweise zu einer gewissen Beruhigung verhalfen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Drink vermutlich von einem Bartender im »Waldorf Astoria« erfunden, die Namensgebung war kein Kommentar auf soziale Missstände, sondern wahrscheinlich spontan-assoziativ nach einem Besuch des in der Bronx neu eröffneten Zoos erfolgt.

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Meine Entscheidung, den Bronx zu bestellen, war ein Volltreffer, weil sich der Bronx als Lieblingsdrink des Bartenders herausstellte, netter Typ Mitte 50, der mir vor lauter Begeisterung sofort die exakte Zusammensetzung erklärte. Der Bronx unterscheidet sich vom Manhattan dadurch, dass er Orangensaft enthält. Orangensaft gilt als sogenannte Brüllzutat, als nahezu unkultiviert, weil er die feine Balance aus Alkohol, Bitterstoffen und Aromen torpediert. In den Augen des Bartenders führte der Orangensaft speziell im Fall des Bronx-Cocktails allerdings dazu, dass man das Gefühl bekomme, jemand reiße kurz mal das Fenster auf zwecks Stoßlüftung in einem Raum voller Zigarrenrauch, er liebte diesen Drink, er liebte ihn einfach. Ich nicht, ich hasste Wermut, ich hasste auch Gin, ließ mir das aber nicht anmerken, trank aus und tat währenddessen so, als teilte ich seine Begeisterung. Und teile die Begeisterung gerade deshalb bis heute, in aller Aufrichtigkeit, und dabei spielt es nicht die geringste Rolle, ob ich ihn mag oder nicht. Als ich bezahlte, wurde ich mit respektvollem Handschlag verabschiedet. Ich hatte eine Prüfung bestanden, allerdings weiß ich bis heute nicht genau, was für eine.