Türsteher zur Dämonenparty

Ein mysteriöses Hausverbot, ein Besuch in der Notaufnahme und ein Erwachen halb bekleidet im Park – unsere Autorin kann sich derartige Exzesse nur mit einem Getränk erklären: dem Grauburgunder.

Es wurde reichlich Grauburgunder ausgeschenkt auf den Millionärpartys, die unsere Autorin als junge Erwachsene besuchte.

Foto: Erli Grünzweil

Manchmal überkommen mich Erinnerungen aus dem Jahr 2011. Der Zeit nach der Finanzkrise und den staatlichen Rettungsaktionen, die in den urbanen Milieus zu einer merkwürdigen Doppeldynamik führten: Zusammenbruch und Fragilität, gleichzeitig eine Art Simulation von Dekadenz. Ich würde das als Phase des ironischen Exzesses bezeichnen, die letzte große Party, die einfach nicht aufhörte. Die Oberschicht hatte bei der Finanzkrise vor allem gelernt, dass es keine Strafe gab, der Wohlstand blieb, man übte den Untergang, der keine Auswirkungen hatte, praktisch als Lebensstil, und der Grauburgunder passte perfekt dazu als Rauschmittel, das nicht kompromittiert und trotzdem langsam den Körper entkernt.

Ich war damals neunzehn und ab und zu auf Partys von Millionären eingeladen. Meistens trug ich Stretch-Long-sleeves von H&M und wusch mir extra nicht die Haare, bis ich merkte, dass das keine Rebellion war, sondern das Gegenteil: Ich funktionierte als Erfüllungsgehilfin der Upperclass-Idee davon, wie eine halb verwahrloste Schriftstellerin die Etikette zu sprengen hatte, ich war, man kann es nicht anders sagen: Deko. Könnte man als Privileg bezeichnen, die Frage ist, als was für eins. Die klarste Erinnerung an diese Phase: dass ständig, wirklich ununter­brochen, Grauburgunder nach­geschenkt wurde, egal, zu welcher Tages- oder Nachtzeit. Und dass mir die Gefahr­losigkeit dieses Weines schon damals wie sein Prinzip vorkam – das hatte was Funk­tionales, bis diese Funktionalität fast nebenbei zur Ekstase oder zum Exzess führte.

In jenem Jahr, 2011, ging ich eines Abends in eine Bar, in der ich, wie sich herausstellte, Hausverbot hatte. Ich erinnerte mich nicht, warum, und auch nicht daran, überhaupt schon mal dort gewesen zu sein. Die Millionärspartys fanden oft in Verbindung mit Ausstellungseröffnungen statt, laut Barpersonal hatte ich diese Bar nach einer dieser Ausstellungseröffnungen betreten, einen Barhocker genommen, ihn umgetreten, und sei dann wieder rausgegangen, kommentarlos. Mir ist etwas Derartiges nie zuvor und nie danach passiert.

Meistgelesen diese Woche:

Eine Bekannte hat in derselben Nacht barfuß in einem Scherbenhaufen getanzt und musste nach dem Aufwachen in die Notaufnahme. Ein Bekannter von ihr wiederum kam halb nackt im Park zu sich. Einige Monate später habe ich einen befreundeten Restaurantbesitzer (kein Arzt!) gefragt, wie es nach drei Gläsern Grauburgunder zum Verhalten derartiger Persönlichkeitsspaltung kommen konnte, ich konnte es mir nur durch heimliche Beigabe von Drogen erklären. Er fragte zurück: »Was wurde denn gegessen?«

»Austern.« »Richtig viele?« »Richtig viele.« »Alles klar.«

Danach folgte ein Vortrag über eine chemisch erklärbare Unverträglichkeit, wenn zu viel Eiweiß und tanninreicher Wein zusammentreffen. Seiner Erfahrung nach träten diese Bewusstseinsverluste bei einer Kombination aus teurem Rotwein, Champagner und Meeresfrüchten auf.

Grauburgunder habe zwar kaum Tannine, aber auch ein Weißwein-Austern-Rausch sei leicht zu erklären, das beobachte er ständig, Alkohol, Restzucker und Eiweiß treiben den Histaminspiegel nach oben, der Blutzucker bricht ein, das Ergebnis kann durchaus zu einem an halluzi­nogen grenzenden Ausnahme­zustand führen, kein echter Trip, aber ein Flimmern, ein Überhellwerden der Welt, als würde sie gleich verschwinden. Er nannte das »Weintrance«. Ein Zustand, der zu desorientierenden, dissoziativen Effekten führt. Oder der, um hier noch schnell die mittelalterliche Lesart zu platzieren: den Kontakt mit Dämonen ermöglicht.