Wenn es nach mir ginge, könnte der Name meiner Tochter recht schlicht sein. Baby 81 zum Beispiel. So wurde ein Säugling bezeichnet, der nach dem Tsunami vor zwei Jahren in Sri Lanka aufgefunden worden war. Und weil man nicht mehr von ihm wusste, als dass seine Eltern verschwunden waren, benannte man ihn kurzerhand nach der Rangfolge der im Krankenhaus eingelieferten Patienten. Einprägsam und funktional zugleich. Ein schöner Gedanke. Das hat nichts mit fehlender Liebe gegenüber meiner Tochter zu tun. Sondern mit der einfachen Feststellung, dass es bei der Namensvergabe doch letztendlich nur um eines geht: um die Ambition der Eltern.
Mit einem einfachen Nummernsystem könnten zudem Verwechslungen ausgeschlossen werden, jeder Mensch wäre auch dem Namen nach ein Unikat. Günther Jauch hieße dann nicht Günther Jauch, sondern vielleicht Baby 100330011, Angela Merkel, weil sie aus der anglophoben DDR stammt, Säugling 2304107. Und Jopi Heesters, inzwischen 103 Jahre alt, irgendetwas um Baby 5. Aber es geht nicht nach mir. Sondern um meine Tochter. Die zwar im Alter von zwei Monaten noch nicht wie ein Mensch wirkt, aber doch irgendwann ein aktives Mitglied unserer Gesellschaft sein wird. Spätestens dann beginnt es, kompliziert zu werden. Denn ab einem gewissen Alter warten die Mitschüler in der Klasse doch nur darauf, den Namen zu verhunzen. Und erscheint ein Name jetzt auch modern, schon morgen kann er die Adelheid von heute sein.
Dann das erste Vorstellungsgespräch. Wenn meine Tochter einmal erwachsen ist, sollte ein Name in China, den USA und anderswo genauso ankommen wie hierzulande. Man kennt ja das Problem von Autonamen. Der Uno von Fiat ist zum Beispiel für Deutschland vollkommen in Ordnung. In Finnland aber bedeutet er Trottel. Vielleicht will meine Tochter aber auch ein Buch schreiben. So wie Eva Herman, etwas Prinzipielles. Oder ein Gesetz wird nach ihr benannt. Verfolgt man diese Überlegung bis zum Ende, wird eine Gleichung mit Tausenden Unbekannten daraus, ein niemals enden wollendes Schachspiel. So etwas sollten Computer erledigen.
Wir haben uns ziemlich intuitiv entschieden, über die Vorgaben waren wir uns jedenfalls rasch einig: Klassisch sollte der Name sein, nicht zu viel wollen, aber auch nicht unter den Möglichkeiten bleiben. Also nicht Suri wie die Tochter von Tom Cruise. Aber auch nicht Karin, die Ehemann Edmund Stoiber ja nicht umsonst nur noch bei ihrem Kosenamen ruft. Eher wie ein V-Ausschnitt-Pullover oder eine gut sitzende Jeans. Beides wird man vermutlich auch in dreißig Jahren noch tragen können.
Vielleicht könnte man das Minimalziel bei der Namensvergabe auch so formulieren: Geht die Tochter mal wieder bei Ikea verloren, sollte sie sich auch mit 20 nicht schämen müssen, ausgerufen zu werden. Wenigstens nicht wegen des Namens. Kommt man damit immer noch nicht weiter, nimmt man am besten einen Stift und eine lange Liste mit Namen – es gibt immer einen Grund, weshalb einer nicht passt. Der einer Ex-Freundin etwa geht schon mal nicht. Wie überhaupt Namen von Freunden oder einem persönlich bekannten Menschen schwierig sind. Julia zum Beispiel klingt schön. Wäre da nicht die Mitschülerin mit den langen schweren Kleidern und dem impertinenten Geruch nach Patschuli gewesen. Oder Sarah. Auch ein guter Name. Das Mädchen, das mich in der zweiten Klasse regelmäßig verprügelt hat, hieß genauso. Dann doch lieber Baby 82.
Um das Kind schließlich beim Namen zu nennen: Anna, Zweitname Helena. So hieß unsere Tochter jedenfalls, bis wir beim Kreisverwaltungsreferat in München waren, um die Geburtsurkunde abzuholen. Seitdem heißt sie Anna Zoë. Meine Freundin hatte den Namen wiederholt ins Spiel gebracht, ich fand ihn immer zu prätentiös. Bis der Sachbearbeiter, der im Jahr Tausende Geburtsurkunden ausstellt, sagte: »Zoë gibt es jetzt ganz oft.« Seitdem habe ich eine ganz andere Sorge: dass Zoë die Adelheid von 2035 wird.
Lesen Sie auch den Text unseres Kollegen Frank Müller, der sich Gedanken über den Namen seines Sohnes machte.