1. Meine Generation ist geschwätzig
Vor einiger Zeit warb ein Mobilfunkanbieter mit dem Slogan »Quatsch dich leer«. Der Werbefilm zeigte Früh- bis Spätzwanziger, deren Körper im Laufe endloser Telefonate so lange an Volumen verloren, bis sie am Ende nur mehr als platte Hüllen auf dem Boden lagen, mit übergroßen, unbeirrt schwatzenden Köpfen. Selten habe ich in den Medien ein so zutreffendes Bild meiner Generation gesehen. Denn wenn es eins gibt, das sie quer über alle Grenzen von Wohlstand, Bildung oder Ethnie hinweg eint, dann das hemmungslose Mitteilungsbedürfnis.
Wir posten Weblinks bei Twitter, laden Fotos bei Flickr hoch, aktualisieren unsere Statusmeldungen bei Facebook und scheuen dabei keine Banalität. Eine meldet, dass sie mit ihrem Boyfriend chillt, die andere brät sich ein Steak – »Mmm, lecker« –, der Nächste kratzt sich am Kopf. Die Grunger und Raver vor uns waren süchtig nach Party, Drogen und merkwürdiger Synthetikkleidung. Wir sind vor allem süchtig danach, etwas zu sagen. Egal, was.
2. Wir sind nicht fähig, Kritik zu üben
Um noch kurz online zu bleiben – das Geschäftsmodell von Facebook und Twitter lebt davon, Nutzer möglichst häufig auf ihre Seiten zu ziehen und dort möglichst aktiv zu halten. Interaktion findet aber vor allem in Form von Lob statt. Jeder für gelungen befundene Inhalt wird mit Kommentaren, Followern oder dem »I like«-Daumen belohnt. Erscheint etwas hingegen unangemessen oder langweilig – keine Reaktion. Diese Tendenz zur Affirmation fällt mir auch an der Universität auf. In München habe ich die Vorlesung eines Professors für Wirtschaftsethik gehört, dessen Haupterrungenschaft es ist, die neoliberale Wirtschaftsordnung als Apriori einer neuen Ethik eingeführt zu haben. Im Zuge seiner Ausführungen verteidigte er Kinderarbeit als historisch notwendigen Schritt zur Industrialisierung ärmerer Regionen. Aus den Reihen der Studenten kam kein Wort des Widerspruchs, außer: »Oh Mann, so kommen wir mit dem Stoff ja nie bis Semesterende durch!«
3. Wir wissen, was auf uns zukommt – und haben: Angst
Klar, keine Generation vor uns ist so sicher, wohlhabend und mobil aufgewachsen. Doch wer Ende zwanzig ist oder jünger, dessen Zukunftsmusik wurde ihm als Dreiklang aus Arbeitslosigkeit, Klimawandel und Energiekrise vorgespielt. Dass Konkurrenzfähigkeit wichtiger ist als Solidarität, ist inzwischen die Kernbotschaft unseres Bildungssystems. Wir erben eine Welt, deren Natur sich unaufhaltsam verändert – und nicht zum Besseren – und deren Wirtschaftsordnung immer mehr Menschen ausschließt. Dem entgegenzusetzen haben wir aber nur Fleiß, Konsum, Kommunikation und als Hauptantrieb die Angst. Nicht vor Überwachung und auch nicht ernsthaft vor Terrorismus, sondern davor, keinen Platz in dieser Welt zu finden. Und Angst ist alles Mögliche, nur nicht produktiv.
4. Meine Generation hat keine Subkultur
Die Generationen vor uns haben stets zu einer Form des Ausdrucks gefunden, mit der sie ihr Missfallen an Werten, Lifestyle oder am Kulturbegriff ihrer Vorgängergenerationen und der Massenkultur anzeigten. Hippies gegen Materialismus, Popper gegen Spiritualismus, Punks gegen Hygienismus. Meine Generation macht einfach alles irgendwie ein bisschen. Die zwei Alternativen zum Mainstream heißen Emos und Hipster. Die einen sind eskapistische Heulsusen, die anderen definieren sich über ein ganz bestimmtes Lifestyleprogramm, das sich aus diversen Posen (ein altes Rennrad fahren), Konsum (MacBooks, enge Hosen, Hornbrillen) und ironischen Anspielungen (billiges Bier, Pornoästhetik) zusammensetzt. Hipsterkultur grenzt sich gegen nichts ab außer gegen den Hipster von gestern. Sie bringt wenig hervor außer einer Ansammlung von Konsumvorgaben.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Die 25-Jährigen fürchten die Konfrontation, sind sich für nichts zu schade und lieben ihr gestörtes Körperbild.)
5. Wir fürchten die Konfrontation
Vor Kurzem nahm ich an einer Diskussion zum Thema Wirtschaftskrise teil. Dabei wurden Zahlen präsentiert, die belegen, dass die Rezession weltweit sehr wahrscheinlich zu Lasten der Frauen gehen wird. Eine junge Frau aus dem Publikum bezweifelte, dass man dies anprangern müsse. »Ich finde es falsch, von den bösen Männern zu reden«, sagte sie, »denn wenn man auf Konfrontation geht, entstehen ja erst Widerstände.« Wie soll jemand, der glaubt, Konflikt sei etwas Schlechtes, in irgendeiner Form in den gesellschaftlichen Diskurs eingreifen, sich etwa gegen einen rhetorisch gut geschulten Rechtsradikalen wehren? Dieser Haltung begegnet man immer wieder. Ihr liegt ein tiefes Misstrauen gegenüber der Opposition an sich zugrunde. Den Begriff »Opportunist«, das härteste Schimpfwort meiner Eltern, benutzt heute niemand mehr.
6. Wir sind uns nicht zu schade
Eigentlich möchten wir Verantwortung übernehmen – für einen Job, eine Familie oder wenigstens für uns selbst. Stattdessen machen wir vielleicht doch noch einen Aufbaustudiengang. Ein Studienkollege begründete seine Promotion so: »Mir fällt kein Beruf ein, der mich besonders interessiert.« Er ist Ende zwanzig und jobbt gelegentlich, aber in erster Linie lebt er von den Eltern. So hängen wir jahrelang zwischen zwei Polen der Entwürdigung: auf der einen Seite die Unternehmen, die unsere Arbeitskraft mit nichts oder wenigen hundert Euro pro Monat bewerten; auf der anderen die Eltern, die den Finanztropf kontrollieren und dafür Fragen stellen dürfen, die man mit Ende zwanzig nicht mehr hören möchte: »Wie sieht es denn langsam mit einem Job aus?« Das Ergebnis: Wir trauen uns noch weniger zu – und machen ein weiteres Praktikum.
7. Wir lieben unser gestörtes Körperbild
Unser Verhältnis zum Körper ist geprägt von zwei der jüngeren Zivi-lisationserrungenschaften: der Essstörung und der Pornoästhetik. Einerseits ist da diese Maßlosigkeit, die mehr junge Menschen denn je übergewichtig werden lässt. Andererseits ist Anorexia nervosa das negative Potenzial der Frauen meiner Generation: Wir sehen das hochglamouröse Ergebnis gesteuerter Unterernährung in den Medien – und finden diesen Zwang zur Selbstschwächung in uns selbst und in unseren Freundinnen. Dazu kommt die bedingungslose Akzeptanz von Hochglanzerotik in allen Sphären. Ein Beispiel dafür ist ein Unterwäschekalender, den das soziale Netzwerk StudiVZ 2008 produzierte. Hunderte von weiblichen und männlichen Freiwilligen hatten sich gemeldet, um sich in erotischen Posen fotografieren zu lassen – ohne Honorar und »just for fun«.
8. Wir denken nicht politisch
Das politische Argument ist in meiner Generation fast ausgestorben, unser Verhältnis zur Demokratie marode. In einem Politikseminar fragte die Dozentin einmal, was die Teilnehmer davon hielten, das Wahlrecht nur ab einem bestimmten Bildungsgrad zu verleihen. Zwei Kommilitonen stimmten sofort zu, unter Verweis auf die Protestwähler in den neuen Bundesländern. Dem Rest war der Gedanke unbehaglich, aber ein kohärentes Gegenargument fand keiner im Seminar. Im Grunde wissen wir gar nicht, wie man politische oder ökonomische Ordnungen kritisiert oder verteidigt, denn wir haben das Mantra, dass es keine Alternative zur Marktwirtschaft gebe, zu stark verinnerlicht. Außerdem: Um ein System in Frage zu stellen, braucht man eine Menge Energie. Wir verwenden unsere Energie dafür, unsere Karrieren zu sichern, unsere Bachelorstundenpläne einzuhalten und zwischendurch bei Facebook einzugeben, was wir gerade tun. Wenn wir das nicht ändern, werden wir irgendwann feststellen, dass eine andere, jüngere Generation über uns sagen wird: Sie ließen ihre Welt veröden, weil sie lieber labern wollten.
---
Meredith Haaf, 26, ist Co-Autorin des Buchs "Wir Alphamädchen" und schreibt im Blog www.maedchenmannschaft.net. Auf ihrer Facebook-Seite geht es aber auch um Isar und Starnberger See.