SZ-Magazin: Herr Goodman, in welchem Sessel möchten Sie sitzen?
John Goodman: Ich nehme den Stuhl hier. Ich muss aufrecht sitzen.
Warum?
Mein Rücken bringt mich sonst um.
Wieso – was ist mit Ihrem Rücken los?
Glauben Sie, ein Mann von meiner Statur kommt um Rückenprobleme rum? Da knirscht jeder Knochen.
Dann sprechen wir lieber über etwas Erfreuliches: Sie waren zuletzt hintereinander in den großartigen Filmen Argo, The Artist, Flight und Hangover 3 zu sehen, jetzt in Inside Llewyn Davis, dem neuen Film der Coen-Brüder – erleben Sie gerade die beste Phase Ihrer Karriere?
Jep, ich habe einen Lauf.
Bis zu O Brother, Where Art Thou? im Jahr 2000 haben Sie alle zwei, drei Jahre in einem Film der Coens gespielt. Warum haben die Ihnen danach mehr als zwölf Jahre lang keine neue Rolle gegeben?
Tja, da muss ich die Coens nicht groß fragen. Ich kenne den Grund. Damals habe ich es mir mit vielen Leuten versaut.
Wodurch?
Alkohol.
Sie haben getrunken?
Und wie. Ich kann mich zwar nicht erinnern, besoffen bei einem Dreh der Coens erschienen zu sein. Aber das liegt wohl nur daran, dass ich mich insgesamt nicht mehr so gut erinnern kann. All die Jahre dachte ich: Haben die Jungs gemerkt, dass ich besoffen war? Was reden andere Leute über mich? Was wissen die Coens? Tja, die übliche Paranoia eines Alkoholikers.
Aber Sie haben trotzdem immer Rollen bekommen.
Ja, ein Wunder. Das lag eigentlich vor allem daran, dass andere Regisseure The Big Lebowski und Arizona Junior mochten. Die Coens haben lieber mal einen Bogen um mich gemacht – aber ihre Filme haben andere dazu gebracht, mir Rollen zu geben.
Sie sollen damals bei der Arbeit eine Nervensäge gewesen sein.
Habe ich auch gehört.
Wann haben Sie mit dem Saufen angefangen?
Ich glaube, ich kam mit Alkoholismus zur Welt. Das ist bei mir genetisch veranlagt.
Können Sie sich erinnern, wann Sie zum ersten Mal besoffen zur Arbeit erschienen sind?
Lange bevor ich 1988 von New York nach Los Angeles gezogen bin, um die Fernsehserie Roseanne zu drehen. Wenn ich an die Zeit denke, verschwimmt alles. Ich vermute, es ging los, als ich 1983, 1984 meine ersten Filmrollen hatte und Geld verdiente. Mein Traum, von der Schauspielerei leben zu können, hatte sich endlich erfüllt. Da fing ich an, mein Geld für Alkohol auszugeben.
Wer waren Ihre Saufkumpane?
Egal. Wer immer gerade da war. Ich hing da immer in so ein paar Kneipen rum, in denen Schauspieler und Mädchen verkehrten. Ich dachte, ich habe einfach Spaß. Was ich nicht bemerkt habe: Es ging so weit, dass ich jede Nacht bis zum Anschlag besoffen war.
Ihr Getränk?
Die harten Sachen. Scotch. Whiskey. Später viel Wodka aus Thermosflaschen.
Andere Drogen?
Gerne.
Gab es auch mal Momente, in denen Sie auf die Bremse gestiegen sind?
Eben nicht. Ich war kein gefestigter Charakter. Meine Einstellung war: Ein Drink ist nicht gut genug. Zwei auch nicht. Drei auch nicht. Ich wollte jeden Abend viele Drinks haben, so viele wie möglich! Irgendwann stellte ich fest, dass das alles für die Menschen, die sich für mein Schicksal interessieren, nicht so lustig ist, meine Frau Annabeth, meine Tochter Molly, meine Freunde. Plötzlich war mein Selbstbild verheerend: Ich sah mich auf einmal als totales Schwein, das andere mit dem Krebs des Alkoholismus verseucht.
Es heißt, alle Alkoholiker glauben, Ihr Problem verheimlichen zu können. War das bei Ihnen auch so?
Ganz klar, Alkohol macht dich zum Lügner. Wenn ich Theater gespielt habe, zitterten meine Hände manchmal so sehr, dass ich auf der Bühne irgendwo ein Glas Wodka verstecken musste, um überhaupt spielen zu können.
Und beim Film?
War ich auch meistens voll.
Die Familie Feuerstein?
Voll.
Bringing Out The Dead?
Sehr wahrscheinlich – voll.
Hatten Sie nie Angst, erwischt zu werden?
Als Schauspieler lebst du sowieso mit der Angst. Wenn du gerade keine Rolle hast, hast du Angst vor der Arbeitslosigkeit. Wenn du gerade Arbeit hast, hast du Angst davor, wie der Regisseur dich als Nächstes nerven könnte. Noch dazu können Dreharbeiten echt stressen, der technische Aufwand, die Konzentration – du musst immer funktionieren. Der Beruf ist wie gemacht für Alkoholiker und …
»In Berlin habe ich auch mit dem Trinken aufgehört.«
Herr Goodman, entschuldigen Sie die Unterbrechung, aber Sie wirken, als könnten Sie die Rückenschmerzen kaum aushalten – wollen Sie sich hinlegen?
Nein, puh… geht schon. Aua.
Sie sind 1952 in St. Louis, Missouri, zur Welt gekommen. Liegen die Wurzeln Ihres Alkoholismus in der Kindheit?
Ach Gott, ja, man kann alles irgendwie auf die Kindheit zurückführen, oder?
Waren Ihre Eltern Trinker?
Nein. Ich gehöre nicht zu denen, die ihren Eltern die Schuld an allem geben. Ich hatte schon als kleines Kind Fressanfälle – ich habe mich versteckt, um wie besessen Süßigkeiten zu verschlingen. Fiel niemandem auf, weil ich damals Football spielte und nicht fett wurde.
Waren Sie unglücklich?
Na ja, ich habe nicht gerade zu den beliebtesten Kindern gehört. Ich erinnere mich, welche Erlösung die Schauspielerei für mich bedeutete. Ich hatte aus Langeweile in einem Stück am College in Springfield, Missouri, mitgewirkt. Der Mann, der später mein Schauspiellehrer und Mentor werden sollte, sah mich und gab mir eine wichtige Rolle in einem Stück am Theater. Da fand ich plötzlich ein Ventil, um mich zu verwirklichen.
Ihre nächste Station war Manhattan.
Da war ich 22.
Ab da ging es doch eigentlich aufwärts?
Na ja, erst mal war es nicht einfach, weil mir niemand einen Job als Kellner geben wollte.
Warum nicht?
Wenn du hässlich bist, darfst du in Manhattan nicht mal kellnern! Also habe ich versucht…
Entschuldigen Sie noch mal, aber jetzt sehen Sie echt aus, als hätten Sie enorme Schmerzen. Legen Sie sich doch hin, um Gottes willen!
Ja, ich glaube, jetzt ist es so weit. Kann ich mich auf die Couch legen, auf der Sie sitzen?
Klar, da ist ja noch ein Stuhl.
… ah, ja, so ist es besser.
Heute trinken Sie nicht mehr. Wann haben Sie Ihr Leben umgestellt?
2006 habe ich den Weihnachtsmann gespielt – und schämte mich später dafür, wie ich in dem Film aussah. Dann musste ich nach Babelsberg für einen Film. Bei der Gelegenheit, anderes Umfeld, weit weg von zu Hause, habe ich siebzig Pfund abgenommen. Das hat mir irgendwie einen Schub gegeben. In Berlin habe ich auch mit dem Trinken aufgehört.
Ein großer Moment?
Ich bin ein letztes Mal in den Biergarten gegangen. Zehn, zwölf leckere deutsche Biere – dann war Schluss.
Wie bleiben Sie heute sauber?
Ich versuche, jeden Morgen zu den Anonymen Alkoholikern zu gehen.
Wie – auch heute, an so einem Interviewtag?
Nein, ich gehe nicht mehr täglich, wenn ich auf Reisen bin. Früher war ich wirklich jeden Tag bei einer Gruppe. Aber ich bin inzwischen stabil genug, um auch mal einen Tag aussetzen zu können.
Wann geraten Sie in Versuchung?
Ich kann immer und überall in Versuchung geraten! Weil ich für den Rest meines Lebens Alkoholiker bleiben werde. Aber meistens bin ich so glücklich, dass ich weg bin vom Alkohol – da komme ich nicht mal in einer Bar auf den Gedanken zu trinken.
Wie viel wiegen Sie jetzt?
Um die 125 Kilo.
Wie nimmt man so viel ab?
In New Orleans, wo wir inzwischen leben, habe ich einen Trainer und Ernährungsberater angestellt: Mackie Shilstone, der Coach, der auch Serena Williams fit hält. Ein halbes Jahr lang habe ich keine Rollen angenommen und ausschließlich an meiner Fitness gearbeitet. Ich habe dabei so viel von Mackie gelernt, dass ich jetzt mit einem normalen Pensum mein Gewicht halte.
Nur Ihr Rücken…
Katastrophal. Ich zahle den Preis dafür, dass ich dreißig Jahre lang wie ein Idiot gelebt habe. Mein rechtes Knie habe ich erneuern lassen. Das ist jetzt aus Titan. Das linke ist noch original.
Und wann kommt das dran?
Im Frühling. Hoffentlich.
(Fotos: afp, ddp images Filmfoto, action press)