Für seine neue Vulkan-Dokumentation »Into The Inferno« auf Netflix filmte Werner Herzog am Krater Lava speiender Vulkane, in seinem langen Schaffen trotzte er der Kälte der Antarktis, interviewte Todeskandidaten vor ihrer Hinrichtung und hat sich, nicht zu vergessen, im Amazones-Urwald von Klaus Kinski bis aufs Blut anschreien und reizen lassen, ohne dabei auch nur mit einer Wimper zu zucken. Man kann sich also nicht vorstellen, dass dieser Mann jemals aus der Ruhe zu bringen ist.
Zum Interview im Bayerischen Hof erscheint Herzog jedoch mit dunklen Ringen unter den Augen und sichtlich unter Strom stehend. Es ist Ende Oktober, nur noch eine Woche bis »Into The Inferno« weltweit auf Netflix freigeschaltet wird, in dutzenden Sprachen, und nun gibt es ein Problem mit den Filmmusikrechten. Er hat schon die ganze Nacht herumtelefoniert und wird das auch die nächste Nacht tun müssen, um die russische orthodoxe Kirche, die wohl ihr Veto bei einigen Stücken eingelegt hat, umzustimmen. 48 Stunden bleiben ihm, das Problem zu lösen. Die vereinbarten zwei Stunden Interview lässt er dennoch stoisch über sich ergehen, zugewandt, offen und interessiert.
Herzog, der wie meist, eine Outdoor-Fleecejacke mit Reißverschlußkragen trägt, ist in München, um seine beiden neuen Filme zu promoten: die Vulkan-Doku und »Salt & Fire«, seinen Endzeit-Thriller mit Veronica Ferres und Michael Shannon in den Hauptrollen, der die Kritiker in zwei Lager teilt: Für die einen ist es ein freigeistiges Filmexperiment, für die anderen kruder Esoterik-Quatsch. Damit kann Herzog gut leben, dem die Vorbehalte, die ihm ausgerechnet in seinem Heimatland immer wieder entgegengebracht werden, mittlerweile milde weglächelt.
»Ich habe kein Problem mit schlechten Kritiken. Das gehört zur Arbeit, die ich mache«, versichert Herzog. Dieser Gleichmut speist sich wohl auch aus dem Wissen, um die fast schon kultische Verehrung in seiner Wahlheimat USA. Und doch ist da eine Wunde, die nicht heilt. In Deutschland wird er immer noch fast ausschließlich mit seinen Kinski-Filme identifiziert. »Das liegt wohl daran, das von meinen letzten dreißig Filmen nur vier oder fünf hier im Kino gelaufen sind. Das nehme ich so hin und kann es nicht ändern.«
Nur hier hat man ihn einen Faschisten genannt, als er in »Lektionen der Finsternis« die brennenden Ölwüsten des Golfkrieges dokumentierte. Bei der Premiere 1992 auf der Berlinale sei er angespuckt worden. »Sie schrien: Ästhetisierung des Grauens! Da muss man Brust zeigen.« Es sei ein schöner Moment gewesen, sagt er etwas kokett, und meint doch: Wie soll ich solche Leute ernst nehmen?
Herzog geht für seine Filme sprichwörtlich durchs Feuer, er macht fast alles selbst, bleibt immer im Budget und bringt alle seine Filme »nach Hause«, wie er es nennt. In Hollywood gehe ihm der Ruf voraus, kein »Bullshitter« zu sein. So einer lässt sich von Leuten, die ihm moralisch kommen, nicht beirren. Er nennt sie »Bettnässer«. Er versuche nur ein guter Soldat zu sein, der eine Stellung hält, die von anderen aufgegeben wurde. Ganz konkret: »Es geht darum, Landschaften, die sonst nur in Fieberträumen vorkommen, lebendig zu machen«. Das bedeute auch, den reinen Journalismus hinter sich zu lassen, um nach einer Wahrheit zu suchen jenseits der Fakten.
Herzog ist ein Mann mit einer Mission. Daher die große Ernsthaftigkeit, die kaum Ironie, geschweige denn Selbstironie kennt. Die gesunde Hybris. Kein Interview, bei dem er nicht seine aktuellen Hauptdarsteller über alle Maßen lobt. »Egal ob Christian Bale, Nicole Kidman, Nicolas Cage oder Veronica Ferres: Alle haben in meinen Filmen ihre beste Leistung gezeigt.«
Widerspricht man, kann auch einer wie Herzog lauter werden. »Ich brauche ihnen nicht zu erklären, dass Kinski in meinen Filmen Weltklasse war und in den Edgar-Wallace-Filmen nur B-Picture-Schrott abgeliefert hat! Die Filme selbst sind mein Zeuge!«
Mit Kinski hat er natürlich einen Punkt. Und doch fordert hier jemand Anerkennung, der keine Anerkennung mehr einfordern muss, dessen turmhohes Werk längst über jeden Zweifel erhaben ist. Ja, auch Werner Herzog ist eben verwundbar, auch wenn man’s nicht glauben mag. Und seien es ein paar renitente Kirchenoberhäupter aus Russland, die ihm den Schlaf rauben. Nach exakt zwei Stunden verabschiedet sich Herzog mit angriffslustigen Augen. Er muss jetzt wirklich dringend ein paar sehr wichtige Telefonate führen.
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Fotos: Caro / Teich