Mamma mia: Grün, grün, grün sind alle ihre Kinder

In keinem Blick liegt mehr Liebe als in dem unserer Mütter. Ein Sohn aus unserer Redaktion schaut zurück.

Eines Tages stand in unserer Rumpelkammer ein kniehoher Holzkasten, randvoll mit Weizen und Roggen. Jetzt konnten wir nicht nur selbst Brot backen, sondern auch noch das Getreide dafür selbst mahlen. Wenig später fand sich in der Küche auch noch ein großes Vorratsglas mit Hafer. »Kinder, wir machen unser Müsli jetzt selbst!«, jubelte meine Mutter und kurbelte aufgeregt an der Müsliquetsche herum, die sie an den Küchentisch geklemmt hatte. In die untergestellte Schale rieselten kleine Flocken, die hart, trocken und unangenehm gesund aussahen.

Die Phase des selbst gemahlenen Müslis markierte den Höhepunkt der Öko-Begeisterung meiner Mutter. Im Gegensatz zu den anderen Errungenschaften wie selbst angebauten Paprika, Kürbissen, Zucchini, dem selbst gebackenen Brot, tieftrübem selbst gepressten Apfelsaft aus Fallobst, Solarzellen auf dem Dach und rauem Recycling-Toilettenpapier hielt die Eigen-Müsli-Phase nicht besonders lange. Erst entdeckten Hunderte von Käfern den Getreidekasten für sich, ein paar Wochen später brannte erst unser Adventskranz und dann die ganze Küche. Die Müsliquetsche überstand das Feuer nicht. Ich habe das selbst gemahlene Müsli gehasst, ich mochte ja noch nicht mal gekauftes. Mir schmeckte auch das selbst gebackene Brot nicht, es war mir zu bröckelig, mit zu vielen harten Körnern, genau wie in Mamas Vollkornkuchen. Ich verabscheute Zucchini, Kürbisse und Paprika, ich schrieb ungern in die grauen Umweltschutzhefte und schüttete in der großen Pause meine halb vergorene Apfelschorle weg, um mir eine Coca-Cola zu kaufen. Die Solarzellen fand ich okay. Nein, eigentlich waren sie mir einfach egal. Aber wenn meine Mutter sich darüber freute, warum nicht?

Ich war ein dummes Kind. Und danach ein dummer Jugendlicher. Mama kümmerte sich um eine gesunde Ernährung. Ich aber hasste es, dass Nachbarn mich mitleidig zum Essen einluden, weil es bei uns zu Hause doch nur den »Körndlfraß« gebe. Mama demonstrierte mit den »Eltern gegen Atomkraft« und mit meinen Schwestern gegen das geplante AKW Marienberg. Ich fand den Aufkleber »Ich strahle lieber vor Freude« doof, der hinten auf unserem Auto klebte.

Meistgelesen diese Woche:

Mama engagierte sich im Bund Naturschutz. Ich schämte mich, wenn mich die Fußballkumpels darauf ansprachen, dass meine Mutter für die »Aktionsgemeinschaft Umweltschutz« durchs Dorf zieht und Unterschriften sammelt – sei es gegen den Ausbau des Baggersees, die Ansiedlung einer Motorenversuchsanlage oder den Bau einer Riesenkläranlage. Wenn Mama deswegen auf den Bürgermeister schimpfte, hielt ich aus Prinzip dagegen: Der wird schon wissen, was er tut, sagte ich.

Irgendwann erzählte mir mein Vater, dass unser Bürgermeister ihn angerufen habe: mit einer Bitte unter Männern, quasi. Er, mein Vater, solle doch endlich seine spinnerte Frau, meine Mutter, zur Vernunft bringen, damit die mit der dauernden Protestiererei aufhöre. Dann sagte der Herr Bürgermeister: »Ich würde meiner Frau Außer-parlamentarische Opposition ja verbieten!« Mein Vater versuchte daraufhin, dem Mann von der CSU das Prinzip der Demokratie zu erklären, was ihm aber nicht gelang. Mein Vater wirkte sehr stolz, als er mir diese Anekdote schilderte.

In diesem Moment trat die Pubertät zur Seite und ließ meinen Verstand vorbei. Plötzlich war auch ich stolz auf meine widerspenstige Mutter. Sehr sogar. Ich begann nachzudenken und habe seither: immer nur grün gewählt, Helmut Kohl verdammt, gegen die NPD demonstriert, Atomausstieg und Dosenpfand bejubelt. Bin auf Bio-Lebensmittel umgestiegen, Zucchini-Fan geworden und habe direkt vom Bauern die »Grüne Kiste« mit Gemüse bestellt.

Nur: Heute ist »Bio« schick und »Öko« ein Prädikat. Heute sorgt sich selbst die CSU um die Umwelt. Heute kämpft sogar die Bild-Zeitung gegen die Klimaerwärmung. Es ist nicht mehr schwer, für das alles zu sein, es ist Mainstream. Als meine Mutter an den Haustüren verstockter Dorfbewohner läutete, ihnen selbst gedruckte Flugblätter und einen Kugelschreiber zum Unterschreiben hinhielt, getrieben nur von ihrem Idealismus, waren selbst die Zeugen Jehovas beliebter als Umweltschützer. Zu dieser Zeit waren die Grünen für Franz Josef Strauß eine »trojanische Sowjetkavallerie«.

Meine grüne Bekehrung erforderte nicht ein Zehntel der Courage, die meine Mutter Tag für Tag zeigen musste.

Aber es ist schön, dass wir heute gemeinsam über all die Leute lachen können, die meine Mutter als hysterische Umweltspinnerin abgetan haben und sich jetzt selbst Solarzellen aufs Dach montieren, den Hybridmotor loben und beim Metzger über Biofleisch fachsimpeln. Wie meine Mutter bestimmt innerlich über mich gelächelt hat, als sie sah, wie viele Müslisorten in meiner Küche vorrätig sind. Alle biologisch, selbstverständlich. Nur die Müsliquetsche, die erspare ich mir.

Hier finden Sie vier weitere Geschichten von Söhnen über ihre Mütter:
Spiel es noch mal, Mama
Griechisches Blut
Die Geschichte der Magnolienblüte
Eine andere Welt