Die Beziehung
Ich kenne meine Tochter erst seit vier Jahren, wir stehen also ganz am Anfang unserer Beziehung. Es wäre etwas anderes, wenn sie schon 13 oder 14 Jahre alt wäre und ich über einen Teenager sprechen würde: Ihre Entwicklung und unser Verhältnis sind völlig offen.
Das Talent
Sie ist unglaublich sprachgewandt. Sie kann sogar schon richtig argumentieren! Das ist zwar sehr bestechend, aber manchmal auch gefährlich: Ich überfordere sie deshalb dann und wann im Gespräch – dabei ist sie doch erst vier. Ich bin gespannt, wie es sein wird, wenn man mit ihr auf Augenhöhe reden kann. Ich empfinde sie jetzt schon als sehr brillante und faszinierende, aber manchmal auch als eine sehr schwierige Person. Die Furcht
Natürlich habe ich etwas Angst, wie das in der Pubertät sein wird, wenn sich alle Charakterzüge verstärken. Vielleicht nimmt sie dann ihren Vater und mich als Gegner. Ich hoffe einfach, dass wir in diesen Jahren einen partnerschaftlichen und liebevollen Umgang miteinander finden.
Die Wünsche
Ich wünsche mir, dass sie sich in der Gesellschaft verwirklichen kann, in der sie aufwächst. Kreative Menschen sollten um sie sein. Sie ist unglaublich willensstark. Sie meidet keine Konflikte. Ob sie manchmal unter ihrem Temperament leidet? Unter ihrer Kraft und dieser riesigen Energie? Es wäre schön, wenn sie lernt, nicht immer nur mit dem Kopf durch die Wand zu gehen.
Der Bruder
Laszlo ist fünf Jahre älter und ganz anders. Mich erstaunt das immer wieder. Er nimmt sich zurück, Sophia ist direkt. Während er sagt: Kannst du mir bitte eine Geschichte erzählen, würde sie sagen: Du musst mir jetzt eine Geschichte erzählen. Oder: Ich will, dass du mir eine Geschichte erzählst.
Das Erbe
Ich habe keine Vorstellung davon, wie sie einmal sein wird, in ein paar Jahren. Manche Eigenschaften schimmern aber jetzt schon durch. Zum Beispiel ist sie kein Gruppentier, das sich dranhängt oder anschließt. Sie macht immer ihr Ding allein. Meine Mutter war genauso und ich bin es auch. Oft muss ich natürlich an meine Mutter und mein Verhältnis zu ihr denken. Wir haben uns wunderbar verstanden.
Der Streit
Zwischen meiner Mutter und mir kam es nur einmal zu einem richtigen Streit. Ich wollte mit 15 die Schule schmeißen und nach Spanien fahren. Da hat sie gesagt: »Du bleibst.« Da spürte ich zum ersten Mal eine Grenze – bis dahin hatte ich das Gefühl, dass ich alles machen darf, was ich will. Im Nachhinein war ihr Verhalten genau richtig: Weil ich nicht nach Spanien durfte, musste ich mich mit etwas anderem beschäftigen, und das war dann das Tanzen.
Die Freude
Ich freu mich darauf, Sophia weiter beim Wachsen zuzuschauen. Wie sie zum Beispiel diese unglaublich eleganten Bewegungen mit ihrem Körper machen kann, die ihr nie jemand vorgemacht hat. Ich beobachte, wohin sie ihre Neugierde und ihre Schnelligkeit im Kopf bringen werden. Und vielleicht wird sie irgendwann auch andere Farben außer Pink und Rosa lieben.
Sophia über ihre Mutter:
»Ich will gar nicht gern über meine Mutter sprechen. Mir haben die Fotos keinen Spaß gemacht. Und die Kleider, die ich anziehen musste, haben mir gar nicht gefallen. Weil die keinen Glitzer haben. Mein Bruder hat mir einen Knut versprochen, wenn ich rede. Keinen echten Knut, nur einen Kuschelknut.
Wenn ich an meine Mama denke, dann fällt mir Gott ein. Und Eisessen. Und schwimmen gehen. Heute hat sie gesagt, dass wir ins Schwimmbad gehen. Da hab ich mich gefreut.
Ich ärgere mich auch manchmal über meine Mutter. Wenn sie keine Zeit hat. Ich hab jetzt keine Lust mehr zu reden. Ich bin müde, ich war nämlich in Japan. Ich habe einen Kimono bekommen. ›Sophia des‹ heißt ›Ich heiße Sophia‹ auf Japanisch. Mama, ich will jetzt den Knut vom Laszlo.«
Sasha Waltz, 44, ist Tänzerin und Choreografin und lebt in Berlin. 1993 gründete sie mit ihrem Mann, Jochen Sandig, die Tanzcompagnie »Sasha Waltz & Guests«, in der heute mehr als 150 Künstler mitwirken, unter anderem Architekten, Schauspieler und Filmemacher. Später eröffnete sie die Sophiensæle, eine Produktionsstätte für freies Theater. Ihre Tochter Sophia ist vier Jahre alt.