Wenn Ihnen während der Ostermesse ein Duft in die Nase steigt, der ein wenig an Thymian und Bohnenkraut erinnert, dann bedeutet das zweierlei. Erstens: Der Pfarrer wird lange predigen. Zweitens: Jemand, wohl eine ältere Frau in Ihrer Nähe, rechnet damit. Sie kennt den Pfarrer – und die Wirkung von Heilkräutern. Sie hat sich einen Ysopzweig in ihr Gebetbuch gelegt, um möglichst lange wach zu bleiben, denn der leicht scharfe Geruch des Krautes fördert die Konzentration.
Ysop kommt aus dem östlichen Mittelmeerraum, doch schon vor 900 Jahren hatte Hildegard von Bingen die Pflanze in ihrem Klostergarten. Hildegard empfiehlt Ysop als erhitzend, was wohl damit zusammenhängt, dass die ätherischen Öle im Ysop den Blutdruck heben. Dies wiederum erklärt einen Teil der konzentrationssteigernden Wirkung. Außerdem empfiehlt die Äbtissin den Magen mit Ysop zu stärken: »Auch rohen Ysop, den man in Wein gelegt hat, mag man häufig essen und den Wein trinken.« Die wohlschmeckende Variante dieses Vorschlags ist eine Ysop-Bowle: Legen Sie 3–4 Ysopzweige mit 3 dünnen Streifen Zitronenschale und 3–4 EL Zucker in ein Bowlengefäß. Zerdrücken Sie Schale und Kräuter mit einem Löffel, so dass der Zucker austretende Duftstoffe aufnimmt, die Zweige aber ihre Form behalten. Mit dem Saft der Zitrone und zwei Flaschen Weißwein aufgießen, 30 Min. ziehen lassen, vor dem Servieren mit einer Flasche Mineralwasser aufgießen. In den Ursprungsländern des Krauts nimmt man statt Wein Zuckersirup, gießt das Getränk in mit Schnee gefüllte Gläser – fertig ist das Scherbett, der Vorläufer unseres Sorbets.
In der warmen Küche eignen sich zarte Triebspitzen und auch die Blüten als Gewürz für kräftige Kartoffel- oder Gemüsesuppen, für Marinaden von Wildgerichten und Sauerbraten. In orientalischen Gewürzen kommt getrockneter Ysop vor. Besonders gut finde ich eine Variante des Grillgewürzes Za’tar: 6 EL Sesam in einer Pfanne ohne Fett rösten, mit 1,5 TL Salz und 2–3 EL getrockneten Ysopblättern mörsern. Za’tar eignet sich als Fleisch- und Grillgewürz oder mit etwas Olivenöl verrührt als Dip für Fladenbrot.
Frischen Ysop gibt es nur beim Kräuterhändler, doch die Pflanze ist anspruchslos, mehrjährig und frostfest. Sie gedeiht in Topf und Garten, jetzt beginnt die Pflanzzeit. Die kleinen, dunkelblauen Blüten sind bei Bienen und Schmetterlingen so beliebt, dass der Volksmund die Pflanze einfach Bienenkraut nennt.
ORIENTALISCHE LAMMSTEAK
600 g Lammrückenfilet in 2 cm dicke Scheiben schneiden, mit 2 TL Harissa (eine scharfe Chili-Paprikapaste – gibt es in türkischen Geschäften) und 1 EL Olivenöl mischen, 30 Minuten marinieren. Die oben beschriebene Gewürzmischung Za’tar mit frisch gehackten YsopblÄttern zubereiten, in eine flache Schüssel geben. Die Steaks in der Gewürzmischung wälzen und mit 2 EL Olivenöl bei milder Hitze 6–8 Minuten braten. Für einen Dip eignet sich Tsatsiki (siehe Rezept unten) oder einfach einen griechischen Joghurt (10 %) mit Salz, Pfeffer, 1 Zweig gehackter Minze und 1 TL geriebener Zitronenschale würzen und mit 2 EL OlivenÖl verrühren.
Gerlachs Online-Rezept:
RIECHEN WIE DIE GRIECHEN – DAS TSAZIKI
Schälen, halbieren, entkernen und raspeln Sie eine Gurke. Pressen Sie das überschüssige Wasser in einem Küchentuch aus. Dann schneiden Sie eine frische Knoblauchzehe in hauchdünne Scheibchen, ein halbes Bund Koriander und einen Zweig Minze in Streifen. Mischen Sie alles mit einem fetten griechischen Joghurt und schmecken Sie das Tsatsiki mit Salz und Pfeffer kräftig ab. Eine simple Sache – aber besser kommt Knoblauch kaum zur Geltung.