Woran denken Sie bei E 415, E 331, E 509 oder E 401? An die Zutatenliste einer Tütensuppe? Richtig. Aber auf Chemikalien wie Xanthan, Natriumcitrat, Kalziumchlorid oder Natrium-Alginat gründet auch die sogenannte Molekularküche, die spanische Speerspitze der Kochkunst. Ihr Erfinder, Ferran Adrià, wird als erster Koch seine Kunst auf der Documenta ausstellen. Warum gilt gerade Adrià als echter Künstler im Unterschied zu den Kunsthandwerkern in traditionellen Spitzenrestaurants? Ein deutscher Drei-Sterne-Koch in Rom versuchte vergangenes Jahr seine gefüllten Zucchiniblüten patentieren zu lassen. Zu Recht vergeblich, denn das Konzept »Gefüllte Zucchiniblüte« kennt keinen individuellen Urheber. Wie stark sich die Blüten des Starkochs von anderen unterscheiden, entscheidet sich nicht im Rezepttext, sondern auf dem Teller. Anders liegt der Fall bei Adrià. Seine Konzepte erfindet er selbst. Die Konstruktionsbeschreibungen, also die Rezepte, sind so eindeutig, dass sich die fertigen Gerichte beliebig reproduzieren lassen. Adriàs verblüffender Kunstgriff: Der Koch, der unverwechselbare Koch-Kunst produziert, bedient sich der Mittel der Industrie.
Für eine erste Annäherung haben wir Alginat in der Praxis getestet. Das Verdickungsmittel aus Braunalgen löst sich in wässrigen Flüssigkeiten und geliert im Kontakt mit Kalziumchlorid. Die einfachste Anwendung ist ein Melonenkaviar, kleine Kügelchen aus Melonensaft. Von einer dünnen Haut umgeben, zerplatzen sie im Mund wie der Rogen von Forelle oder Saibling. Im Test tauchen zwei Fragen auf. Erstens: Muss ich das hübsch abgepackte Produkt des Meisters verwenden oder tut es auch preiswerteres Natrium-Alginat, wie ich es in jeder Apotheke bestellen kann? Wir haben beide probiert und konnten keinerlei Unterschied im Kaviar schmecken. Zweitens: Die Pülverchen der Molekularküche werden sehr genau dosiert. Was tun, wenn keine Drogenwaage zur Hand ist? Suchen Sie sich einen sehr kleinen Messlöffel und wiegen Sie auf einer gewöhnlichen digitalen Küchenwaage fünfzig mit einem Messerrücken exakt gestrichene Löffel Alginat ab. Teilen Sie das Ergebnis durch fünfzig und Ihr Löffel ist ziemlich gut geeicht. Teilmengen bilden Sie mit Hilfe von Ra-sierklinge und Augenmaß auf einer Glasplatte. Übrigens: Sobald der Geliervorgang beginnt, ist er nicht mehr zu stoppen. Servieren Sie Ihren Kaviar innerhalb von zwanzig Minuten. MELONENKAVIAR MIT SPECKSTREIFEN
800 g Cantaloup-Melone schälen und entkernen, im Mixer pürieren, dann durch ein Passiertuch abtropfen lassen, zum Schluss das Tuch zusammendrehen und auspressen. 250 ml Saft abmessen, ein Drittel davon mit 2 g Alginat mixen. Restlichen Saft zugeben und kalt stellen. 5 g Kalziumchlorid in 1 l Wasser lösen. Eine Einwegspritze (mit einer großen Öffnung, ca. 60 ml) mit Melonensaft füllen, Tropfen für Tropfen ins Wasser geben, 1 Minute ziehen lassen. Melonenkaviar mit einem Sieblöffel aus dem Wasser heben, gründlich kalt abspülen. Je 1 TL Kaviar auf einen gebratenen Speckstreifen geben und mit einer Prise geschrotetem Kreuzkümmel gewürzt servieren. (Auf dem Foto sehen Sie über den Melonenkavier noch etwas Seehasenrogen gestreut. Er ist lediglich Dekoration.)