Gefahrenzone

    Im Fußballsommer entbrannte eine Debatte über No-go-Areas für afrikanische Gäste. Können sich Menschen mit dunkler Haut in Ostdeutschland tatsächlich nicht mehr frei bewegen? Ist der Hass auf alles Fremde ein Teil der dortigen Alltagskultur geworden? Gehört der Osten noch zum Westen? Fünf Mitarbeiter des SZ-Magazins haben mehrere Monate recherchiert. Herausgekommen ist ein bestürzender Erfahrungsbericht, zusammengesetzt aus 22 Stimmen. Und die Erkenntnis, dass 16 Jahre nach der Wiedervereinigung Teile des Ostens zu einem anderen Land geworden sind.
    1. Alltag der Diskriminierung Amani Bohoussou, 34, Elfenbeinküste, seit 5 Jahren in Erfurt, Doktorand der Sprachwissenschaften. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Abend in Erfurt. Eine deutsche Freundin aus Bielefeld, wo ich als Student mal gewohnt hatte, lud mich zum Abendessen ein. Beim Abschied sagte sie: »Pass auf dich auf, Amani. Du bist jetzt nicht mehr in Bielefeld.« Ich war sehr beunruhigt und hatte keine Ahnung, wovon sie sprach. Denn ich hatte zu Hause zwar im Geschichtsunterricht gelernt, dass Deutschland lange Zeit geteilt gewesen war. Aber niemand hatte mir erzählt, dass es noch heute riesige Unterschiede zwischen Ost und West gibt. Bald wusste ich aber Bescheid. Noah Sow, 32, Moderatorin und Sängerin, in Deutschland geboren. Als ich das erste Mal aus meiner Heimatstadt Hamburg nach Rostock fuhr, hat man mir viele Ratschläge gegeben: im Westen vollzutanken, nicht überall auszusteigen, die Hotelzimmer mit den Kollegen nebeneinander und den Weg zum Hotel nur in Begleitung eines Security-Mannes zu nehmen. Ich bin dann mit dem Zug gefahren. Eigentlich sollte mich jemand am Bahnhof abholen, aber kaum war ich angekommen, hatten mich schon sechs Glatzen umringt. Zum Glück hatte ich einen großen Hund dabei. Beim Einchecken im Hotel hieß es: Kein Zimmer frei. Erst eine weiße Kollegin konnte den »Irrtum« beheben. Asumaila Atoude, 31, Togo, geduldeter Asylbewerber in Rathenow. In den fünf Jahren, in denen ich hier lebe, habe ich noch nie jemanden aus Rathenow kennengelernt. Ob wir auch manchmal in die Disco gehen? Vergiss es. Ich bin nur ein einziges Mal hin. Und weißt du, warum? Weil dort einmal alle zwei Monate ein »Black Music«-Abend stattfindet, die machen da auch Werbung in der Stadt, und es steht sogar auf den Plakaten, dass Afrikaner freien Eintritt haben. Na ja, da habe ich mich einmal überreden lassen mitzugehen. Als wir reingingen, fingen die ganzen Leute in der Disco zu lachen an und sagten alle: »Hey, Bimbo.« Ich weiß gar nicht, was das bedeutet: »Bimbo«. Irgendwann sind wir dann auf die Tanzfläche gegangen, meine Freunde und ich. Die Tanzfläche war voll in dem Moment, doch als wir da waren, sind auf einmal alle Deutschen runtergegangen. Ein Freund meinte noch: »Vielleicht wollen die alle sehen, wie wir Schwarzen tanzen«, aber das war bestimmt nicht so. In dem Moment, als wir aufgehört haben zu tanzen, war die Tanzfläche wieder voll. Da habe ich zu meinen Freunden gesagt: »Kommt, lasst uns gehen.« Chima Onyele, 29, lebt als Musiker in Frankfurt, in Deutschland geboren. Was Uwe-Karsten Heye da vor der WM angesprochen hat mit den »No-go-Areas«, das weiß ich schon seit zehn Jahren. Man geht einfach nicht nach Berlin-Marzahn und macht die Probe aufs Exempel. Man macht keine Zwischenstopps auf der ICE-Strecke nach Leipzig und man nimmt im Osten keinen Bummelzug. Ade Bantu, 36, Nigeria, Produzent und Musiker in Köln, in Deutschland seit 1986. Wenn ich in Ostdeutschland aus der Bahn aussteige, halte ich immer fünf bis zehn Meter Abstand zu den Gleisen. Peter Lawson, Sierra Leone, lebt als geduldeter Asylbewerber in Prenzlau. Hier in Prenzlau ist es so: Jedes Mal, wenn du rausgehst, passiert etwas. Und zwar nicht ein-, zweimal am Tag, sondern die ganze Zeit. Man überlegt sich wirklich, überhaupt noch auf die Straße zu gehen. Eigentlich gehen wir nur noch raus, wenn wir wirklich müssen, zum Einkaufen oder zum Sozialamt. Lina Schäfer*, 30, Senegal, Hausfrau, seit 6 Monaten in Dresden. Aus Vorsicht gehe ich nachts nicht auf die Straße, das macht hier kein Afrikaner – das wäre einfach viel zu gefährlich. Im Senegal bin ich nachts immer auf die Straße gegangen, aber der Senegal ist auch nicht so gefährlich wie Deutschland. Manchmal lauert mir einer auf, an der Trambahnhaltestelle, am Kindergarten oder auch vor meinem Haus. Er starrt mich an und zischt mir Dinge zu. Weil ich noch nicht so gut Deutsch spreche, hat mir mein Mann einen Zettel geschrieben: »Lass mich in Ruhe oder ich hole die Polizei!«, steht da drauf. Den trage ich jetzt immer bei mir.

    Tchbodi Kodjo*, 26, Togo, lebt seit 6 Jahren in Magdeburg. Eben gerade, als ich hier von der Bushaltestelle zum Interviewtermin kam, stand eine Mutter mit ihrer Tochter, so elf Jahre alt, auf dem Balkon. Beide machten Affengeräusche, als ich vorbeiging, »huhuhuhu« haben sie mir nachgerufen. Amani Bohoussou Am schlimmsten ist es in der Straßenbahn. Ich sage immer: In Erfurt bin ich der König der Tram. Wenn ich in einem Viererabteil sitze, bleibe ich da allein – egal, wie voll der Wagen ist. Es gibt natürlich auch viele nette und hilfsbereite Menschen hier. Meistens sind die aber schon mal im Ausland gewesen. Vorurteile haben eben viel mit Ignoranz zu tun. Die Menschen, die Vorurteile gegen mich haben, kennen oft nicht mal Berlin. Asumaila Atoude Baden gehen wir im Sommer auch nicht, obwohl es hier viele schöne Seen gibt. Ich habe mal von jemandem aus unserem Heim gehört, der war in einem Freibad hier in der Nähe. Als er ins Schwimmbecken reinging, sind sofort alle aus dem Becken raus. Mouctar Bah, Guinea, lebt in Berlin und Dessau. Ich bin vor einigen Jahren von Berlin nach Dessau gekommen wegen eines Callcenters, das ich dort eröffnet habe. In dem Laden habe ich auch Oury Jalloh aus Sierra Leone kennengelernt, der dort oft mit seiner Mama telefoniert hat. Jalloh ist ja, das stand viel in der Zeitung, am 7. Januar 2005 in einer Zelle im Polizeirevier in Dessau ums Leben gekommen. Er war abends verhaftet worden, weil er angeblich auf der Straße Frauen belästigt hatte, und ist dann im Keller auf einer Pritsche, auf der er festgeschnallt war, verbrannt. Es hieß, er habe es trotz der Fesseln geschafft, sich selber anzuzünden. Da es mir und anderen seiner Freunde nicht so klar war, wie Jalloh ums Leben gekommen ist, haben wir versucht, das herauszufinden. Zuerst sind wir zur Polizei gegangen, aber niemand konnte uns nähere Auskunft geben. Wir haben dann gesagt: Okay, jetzt schalten wir einen Anwalt ein. Und ich habe mich dann ein Jahr lang richtig mit der Sache beschäftigt, habe Demos organisiert, viel mit Medien gesprochen und so. Wie ich vorhin gesagt habe, habe ich ja dieses Callcenter in Dessau geführt. Jedenfalls habe ich dann im Februar 2006 einen Brief vom Ordnungsamt Dessau bekommen, dass ich den Laden zumachen muss. Sie sagten, ich hätte Drogendealer in meinem Laden geduldet. Diese Anschuldigungen hatte es schon mal lang vorher gegeben, ein Jahr vor Jallohs Tod. Die Drogenszene war genau in der Straße aktiv, in der mein Geschäft war, und die Polizei hatte den Laden unter Verdacht, aber der Staatsanwalt ließ die Klage fallen, weil ich nachweisen konnte, dass ich nichts damit zu tun hatte. Es war dann zwei Jahre ruhig, die Drogenszene war längst aus der Gegend verschwunden, dann kam plötzlich der Brief vom Ordnungsamt. Ich musste im Februar das Gewerbe innerhalb einer Woche abgeben. Jetzt arbeite ich im gleichen Callcenter wie vorher, aber als Angestellter. Komischerweise war das Problem mit den Drogen plötzlich nicht mehr akut, als das Callcenter an einen anderen Eigentümer ging. Maria Schöller*, Kenia, lebt als Hausfrau in Dresden, seit sechs Jahren in Deutschland. Ich habe in Frankfurt in einer Wäscherei gearbeitet, und hier in Dresden habe ich in der Zeitung ein Stellenangebot in einer Wäscherei gesehen. Da habe ich angerufen und der Frau erzählt, dass ich Erfahrung mit dieser Arbeit habe – wir haben einen Termin ausgemacht. Aber als ich bei ihr angekommen bin, sagt die Frau: »Nein, ich hab keinen Termin mit einer Afrikanerin gemacht!« Ich habe gesagt: »Aber wir haben doch miteinander geredet am Telefon.« – »Nein, ich habe mit keiner Afrikanerin geredet«, schreit sie. Da bin ich wieder gegangen. Ade Bantu Wir waren mit den Brother’s Keepers auf Tournee und wollten in Pirna mit einer Schulklasse diskutieren. Wir hatten aber das Gefühl, dass sich die Schüler nicht frei äußern konnten. Es herrschte ein Klima der Angst. Die Nacht zuvor hatten Rechte überall in der Schule Plakate aufgehängt: »White Arian Brotherhood against the alien Brother’s Keepers«, mit Hakenkreuz und Ku-Klux-Klan-Symbolen. Ich fühlte mich wie in der Zeitmaschine: Mississippi Burning auf Deutsch. Vor der Schule hörten fünf Neonazis laut rechtsextreme Musik. Die Polizei, die zu unserem Schutz mitgekommen war, schritt nicht dagegen ein.

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    Victoria, 16, lebt als Schülerin in ihrer Geburtsstadt Pirna. Ich mache jetzt die elfte Klasse in Amerika, in Michigan. Der Grund, warum ich dahin wollte, war schon, dass ich mal wegkomme aus Pirna; in Amerika wohnen ja viel mehr Schwarze als hier. Der Schritt ist aber, glaub ich, auch generell wichtig für meine Persönlichkeit, weil ich hier einfach zu hart geworden bin, irgendwie so eine Mauer um mich herum aufgebaut habe, als Selbstschutz. Weil einem das halt schon alles ziemlich nahegeht. Man kann in Pirna jeden Tag damit rechnen, dass was passiert. Wenn ich spätabends durch die Gegend laufe, was jetzt schon hin und wieder vorkommt, dann kann immer einer von den Nazis kommen und einen verprügeln. Ich habe in den letzten Jahren immer alles unterdrückt und habe so getan, wie wenn mich das alles nicht interessieren würde, die Gewalt, die Pöbeleien und so. Das hat am Anfang auch geholfen. Im Endeffekt war es dann aber überhaupt nicht gut. Grundsätzlich ist es hier in Pirna aber schon hart. Wenn ich hier so langgehe – also ich bin jeden Tag darauf eingestellt, dass irgendwas kommt. Ich hab auch keine Lust und keine Kraft dazu, mich damit auseinanderzusetzen; es kommen immer Leute zu mir, die sagen, ich soll die doch mal anzeigen – meine Schwester und ich haben schon so viele Anzeigen gemacht früher, das bringt überhaupt nichts, die Polizei macht nichts, da kommt der Angeklagte einfach nicht zum Gerichtstermin, und das Verfahren wird dann irgendwann eingestellt. Mein Fehler war, dass ich zu lange alles in mich reingefressen, mit niemandem darüber geredet habe. Ich sag mal so, ich habe lange eine Art Rolle gespielt, in der Schule war ich immer das fröhliche Mädchen. Es kam aber dann alles auf einmal aus mir raus, so im Herbst letzten Jahres, als ich eine Essstörung gekriegt habe. Ich hatte mich damals ziemlich reingesteigert in so ein Buch von Heidi Klums Fitness- und Ernährungstrainer, David Kirsch, der hat so einen tollen Fitnessplan: In 14 Wochen wird man da total toll und nimmt ab, da darf man aber kein Brot essen, keine Kartoffeln, muss auf ganz viel verzichten. Das habe ich also gemacht, hab überlegt, was ich überhaupt noch essen darf – und irgendwann bin ich dann magersüchtig geworden und hab danach auch noch Bulimie gekriegt, weil ich entweder gar nichts gegessen oder totale Fressanfälle bekommen habe. Meine Mutti hat mich dann zu einem Psychologen gebracht. Der hat mir schnell geholfen, wir haben einen Essensplan gemacht und so. Und bei dem habe ich dann eigentlich zum ersten Mal überhaupt gelernt, über mich zu reden. Christina Gueye, 28, lebt als Erzieherin in Berlin, in Deutschland geboren. Ich schicke meine Kinder, drei und elf, seit einiger Zeit ins Judotraining. Ich selbst habe früher in Dresden zusammen mit acht schwarzen Freundinnen Kampfsportunterricht genommen. Das hat uns nach den ganzen Überfällen auf uns geholfen. Peggy Fontainhas Mendes, 37, Erzieherin, in Deutschland geboren. Ich lasse meine Söhne abends nicht allein mit dem öffentlichen Nahverkehr fahren. Und habe sie zum Kampfsport geschickt. Um ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Wer keine Angst hat, das weiß ich von mir selbst, wird nicht so leicht zum Opfer. Abou Souker, 33, Kamerun, lebt in Berlin, seit 3 Jahren in Deutschland. Ich habe bis zu meiner Heirat in einem Flüchtlingsheim in Brandenburg gelebt, in Bahnsdorf bei Senftenberg. Vom Bahnhof ist dieses Heim so zwei Kilometer entfernt. Es gibt keinen Bus auf dieser Strecke, und die Straße, die zum Heim führt, hat keine Straßenlampen, das heißt, man geht vollkommen im Dunkeln, wenn man abends dorthin kommt. Das Heim ist umgeben von einem großen Wald. Das Gebäude selber ist eine alte Militärkaserne, und in dem Wald um das Heim herum gibt es noch lauter Minen. Jeder Bewohner muss, wenn er einzieht, ein Formular unterschreiben, dass er darüber aufgeklärt wurde und nicht in dem Wald rumgeht. Das ist aber schwer bei 500 Bewohnern und vielen Kindern, dass das eingehalten wird. Gott sei Dank ist nie was passiert bisher. Das Heim ist so abgelegen, dass man es eigentlich nie verlässt. Essen und Schlafen, das ist alles. Peter Lawson Es würde ja auch niemand akzeptieren, dass einer aus dem Ort mit einem Ausländer befreundet ist. Hier, mein Handy, ich zeige dir mal ein paar SMS von einem Mädchen, das ich kennengelernt habe, sie arbeitet beim Roten Kreuz in Prenzlau. Wir waren eigentlich richtig zusammen eine Woche, aber dann hat sie plötzlich nicht mehr auf meine Anrufe reagiert, und dann schreibt sie plötzlich (zeigt die SMS): »Es geht nicht mehr, meine Familie und meine Freunde machen mir Probleme«, jeder hatte ein Problem, dass sie die Freundin eines Schwarzen war, deshalb hat sie sich von mir getrennt. Joy Denalane, 33, Soulsängerin, Berlin, in Deutschland geboren. Ich fahre zwar bewusst nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln, aber neulich brauchte mein Mann Max das Auto. Es war abends, ich war bei einem Freund am Prenzlauer Berg im Osten und musste die Ringbahn nehmen, um heimzukommen. Die Ringbahn fährt durch die ganzen Außenbezirke im Osten und dann zurück in den Westen. Das hat mir überhaupt nicht gefallen – allein atmosphärisch befand ich mich plötzlich im Feindesland, die Stimmung hatte etwas Aggressives, mich trafen abschätzige Blicke, und dauernd stiegen Menschen in Bomberjacken und Springerstiefeln zu. Ich will nicht pauschalisieren, aber dieses feindselige Starren ist mir im Westen noch nicht begegnet. Dass nicht mehr passierte, liegt sicher auch an meiner Art. Ich bin Berlinerin, kenne die unausgesproche-nen Straßencodes und kann mit meinem Blick etwas ausstrahlen, was dem Gegen-über signalisiert: »Komm mir nicht zu nahe, ich habe keine Angst vor dir.« Die lassen mich dann auch in Ruhe. Victoria Neuerdings kriege ich glücklicherweise keine Beschimpfungen mehr mit, weil ich immer mit Mp3-Player durch Pirna laufe. Und wenn ich sehe, dass paar Nazis entgegenkommen, mach ich einfach extra laut.

    2. Erfahrungen mit Gewalt Tchbodi Kodjo* Am 4. Juni 2006 war Stadtfest in Magdeburg, am »Alten Markt«. Ich habe dort abends auf eine Straßenbahn gewartet, und weil ich noch zehn Minuten hätte warten müssen, wollte ich weiter bis zur nächsten Station gehen. Da kam eine Gruppe von vier Leuten hinter mir her, zwei Jungs und zwei Mädchen. Sie haben immer gerufen: »Hey, du, hey!« Ich habe mich umgedreht und gefragt: »Wer, ich?« Einer der Jungs kam dann auf mich zu und hat mir einfach so, ohne Vorwarnung, mit der Faust eine reingehauen. Er hat nicht vorher was von »Scheißneger« oder so gesagt – dann wäre ich schon vorgewarnt gewesen. Ich wusste nicht, was ich machen sollte, denn vier waren ein bisschen viel. Ich bin also weggelaufen und wollte mein Telefon aus der Jacke nehmen, um die Polizei anzurufen, Die beiden Jungen sind nachgelaufen und haben mich beschimpft – »Wen willst du denn anrufen, du Neger, komm mal her« – und haben versucht, mir das Telefon wegzunehmen. Um uns herum waren die ganze Zeit vielleicht tausend Leute, die auf dem Stadtfest waren. Keiner hat sich für die Sache interessiert. Die beiden kamen also hinter mir her. Sie nahmen mir die Jacke mit dem Telefon weg und fingen an, mich zu verprügeln. Einer der beiden hatte eine leere Flasche in der Hand und wollte mich damit schlagen. Und ich hatte wirklich Angst. Ich meine, ich habe in Afrika schon gelernt, wie man sich verteidigt, auch gegen zwei Leute. Irgendwie habe ich dem einen die Flasche wegnehmen können, und ich habe sie ihm im Kampf über den Kopf geschlagen. Es blieb einer übrig. Viele Menschen hatten einen Kreis um uns gebildet und schauten dem Kampf zu. Plötzlich, als der eine schon auf dem Boden lag, kam einer aus dem Kreis heraus und sagte zu mir: »Hände weg!« und packte mich am Arm. Ich dachte, dass das jetzt jemand von der Polizei war, und ließ den anderen los, aber plötzlich fing der auch an, mich als »Scheißneger« zu beschimpfen. In dem Moment habe ich mir gesagt: Okay, jetzt muss wohl einer von uns sterben, entweder ich oder die beiden anderen. Dann kam wirklich die Polizei. Es waren zwei. Der eine hat mich mit auf das Revier mitgenommen, der andere den Jungen. Was mit dem verletzten Jungen passiert ist, weiß ich nicht. Wir sind dann zu dem Polizeirevier gefahren. Dort habe ich gesagt, dass ich unbedingt zuerst in ein Krankenhaus muss. Sie haben mich in eines gebracht; man hat mich untersucht und Verbände gemacht. Das hat lange gedauert, und erst nach Mitternacht war ich wieder bei der Kriminalpolizei. Ich wollte eine Anzeige machen gegen den Jungen, und die Frau bei der Polizei sagte mir, dass der Junge auch schon eine Anzeige gegen mich gemacht hatte. Ich dachte: Hallo? Als ich meine Anzeige machen wollte, sagte sie: »Das mit der deutschen Sprache ist schwer, wir brauchen unbedingt einen Dolmetscher.« Das würde aber erst am Dienstag gehen, weil am Montag Feiertag sei, Pfingstmontag oder wie das heißt. Der andere hatte aber schon am Sonntagabend die Anzeige gemacht, und deshalb stand dann am Dienstag der Vorfall so in der Zeitung, wie es der Junge gesagt hatte: dass ein Afrikaner die deutschen Jugendlichen als Nazis beschimpft und die Schlägerei provoziert hätte und einen von ihnen mit einer Bierflasche verletzt hätte. Nun ist es so, dass wir alle drei, die beiden deutschen Jungs und ich, eine Anzeige haben, wegen »schwerer Körperverletzung«. Ich habe aber natürlich auch die anderen beiden angezeigt. Ich weiß nicht, was dabei rauskommt. Der Prozess beginnt in den nächsten Wochen.

    Salomon Ngomane-Schulz, 40, Mosambik, lebt als Sozialarbeiter in Magdeburg, seit 18 Jahren in Deutschland. Seit ich an Hitlers Geburtstag zusammengeschlagen worden bin von Skinheads, hier in Magdeburg in meiner Straße, trauen sich unsere Kinder eigentlich nicht mehr allein auf die Straße, um Brötchen kaufen zu gehen oder so. Das ist für die Entwicklung meiner Söhne, sie sind neun und 14, natürlich nicht so gut. Wir schauen jetzt halt, dass wir bald was anderes finden, dass wir umziehen können. Damit die Kinder wieder rausgehen können. Das Dumme war: Als mein älterer Sohn bei der Polizei angehört wurde als Zeuge – er war ja am Anfang noch dabei, als die Skinheads uns blöd anredeten, bevor ich ihn nach oben in die Wohnung geschickt habe –, da haben sie ihm auch Fotos gezeigt von einigen Skinheads und ihn gefragt, ob die bei dem Angriff dabei waren. Das hätte die Polizei nicht machen sollen. Er hat tatsächlich viele erkannt, hat sich aber natürlich auch die anderen Gesichter auf den Fotos gemerkt, und wenn wir jetzt in unserem Viertel rumlaufen, ist das natürlich schwer. Er glaubt ständig, jemanden wiederzuerkennen, weil viele von denen dauernd hier rumlaufen. Deswegen traut er sich jetzt nicht mehr auf die Straße. David Ibrahim*, 39, Togo, seit 7 Jahren in Deutschland, Doktorand der Kultursoziologie. Ich bin so was wie ein Katalog schlechter Erfahrungen. Fangen wir bei den Polizei- beamten in Dresden an, die mich auf der Straße verprügelten: Auf die Frage im Gerichtssaal: »Wieso haben Sie diesen jungen Mann auf der Straße aufgehalten?« antworteten sie: »Weil er schmutzig aussah.« Weil ich schmutzig aussah! Meine Frage an die Beamten, ich war Nebenkläger: »Wie können Sie aus dem Auto heraus sehen, dass ich auf dem Fahrrad schmutzig aussehe?« – »Ja, man sieht das.« Sie fuhren mit mindestens dreißig Stundenkilometern entlang. Die Leute von einem Dönerladen in der Straße haben alles beobachtet. Diesen Dönerladen hat die Polizei danach zugemacht. Ich war aber bei den Türken. Sie haben mir gesagt, sie riskieren ihre Haut für mich und sagen aus. Die Polizisten sind nach wie vor im Dienst. Das Verfahren läuft noch. Asumaila Atoude Im Mai bin ich in Rathenow auch angegriffen worden, hier in dem stillgelegten Betonwerk direkt neben dem Flüchtlingsheim. Als ich an einem Abend so um sieben mit dem Fahrrad vom Einkaufen zurückkam, hat mich ein Auto mit drei Leuten drin verfolgt und mehrmals versucht, mich auf einem abgelegenen schmalen Weg zu überfahren. Die Täter wurden auch gefunden ein paar Tage später, sie haben aber bei der Polizei gesagt, dass sie nur ihr Auto ausprobieren und ein bisschen herumfahren wollten. Vor ein paar Tagen kam ein Brief, dass das Verfahren eingestellt wurde. Ich habe aber jetzt einen Anwalt, und wir werden dagegen klagen. Man kann sogar noch heute an den Spuren im Gras genau sehen, wie sie mich gejagt und mir den Weg abgeschnitten haben. Noah Sow Letztes Jahr bin ich mit dem ICE nach Potsdam gefahren: Da ist eine Horde Glatzen zu mir ins Abteil; sie haben den Vorhang zugezogen und mich belästigt – auf die Einzelheiten möchte ich lieber nicht eingehen. Zum Glück kam mir der Bundesgrenzschutz zu Hilfe. An der nächsten Haltestelle verließen die Bahnpolizisten aber für mich völlig überraschend den Zug. Ich flüchtete dann in ein Abteil mit zwei dunkelhäutigen Journalisten aus England. Es nützte nichts: Jetzt hatten die Glatzen freie Bahn für ihre Gewalttätigkeiten, Morddrohungen und sexuellen Belästigungen … Ich war danach monatelang arbeitsunfähig und in Therapie. Diego Abandos*, 23, Angola, seit 6 Jahren in Dresden, derzeit arbeitslos. Mir haben zwei Typen vor einiger Zeit das Bein gebrochen. Ich habe eine Anzeige gemacht, aber das dauert lang, bis da was passiert. Jetzt klingeln die beiden manchmal bei mir. Die wissen von einer Nachbarin, wo ich wohne. Einmal war mein Cousin allein bei mir zu Hause, da hat es an der Tür geklingelt. Das waren dann die zwei Typen. Ich hatte ihm gesagt: Wenn du die Tür aufmachst, schmeißen die dich aus dem Fenster – ich wohne im 16. Stock. Er hat sie durch das Loch in der Tür gesehen. Die haben schon den Brief gekriegt, dass ich sie angezeigt habe. Ich frag meine Nachbarin manchmal, ob die Jungs wieder da waren. Dann sagt sie: Ja, aber ich wusste gar nicht, dass die dich kennen. So tut die immer.

    David Ibrahim* Vor vier Jahren habe ich eine Schreckschusspistole gekauft, um mich selbst zu schützen. Ich habe einen Antrag auf Genehmigung gestellt und eine bekommen. Wegen des Überfalls auf mich damals auf dem Stadtteilfest in Görlitz. Das waren fünf, sechs Leute, Nazis. Sie riefen: »Jagt den Neger, jagt ihn! Du kommst nicht lebendig hier raus.« Sie haben mit zerbrochenen Bierflaschen und einem Messer auf mich eingestochen. Ich habe mir die Hand vor den Bauch gehalten; seitdem funktionieren meine Finger nicht mehr. Die Gerichtsverhandlungen dauern Jahre. Und jetzt habe ich sogar einmal Polizeischutz bekommen, als ich nach Görlitz aufs Gericht fahren musste. Patricia Vester, 36, lebt als Literaturmanagerin in Potsdam, in Deutschland geboren. Anfang der Neunziger haben mir regelmäßig Nazis mit quietschenden Reifen nachgestellt und mich mit Baseballschlägern verprügelt. Bis heute kriege ich Herzrasen und Panik, wenn ich quietschende Reifen höre. Inzwischen habe ich einige Therapien gemacht: Jetzt traue ich mich wieder, mich im Stadtzentrum zu bewegen. Mit dem Rad kann ich selbst nachts allein nach Hause fahren, ich hangele mich von Fixpunkt zu Fixpunkt. Mit dem Zug nachts nach Hause zu fahren ist für mich aber immer noch ein Horrortrip. Vor drei Monaten kam ich nachts allein zitternd am Bahnhof in Potsdam an. Der Taxifahrer hat mich einfach stehen lassen – das hat mich total aus der Fassung gebracht. Asumaila Atoude Ich gehe seit dem Überfall auf mich nicht mehr allein nach draußen. Wenn ich einkaufen will, muss ich mit jemandem zusammen gehen. Ich habe immer Angst. Außerdem schwitze ich dauernd und mein Herz macht bummbummbumm, wenn ich fremden Menschen begegne. Deswegen gehe ich seit einiger Zeit zur Therapie. Ich vergesse jetzt auch immer alles sofort. Auch unser Gespräch heute hätte ich vergessen, hätte ich den Termin nicht in mein Handy einprogrammiert. Die Therapie ist gut, aber es ist teuer, weil ich bekomme nur mein eigenes Zugticket bezahlt, und ich bezahle das Ticket von dem, der mit mir geht.
    3. In einem anderen Land? Sam Meffire, 36, geboren in Dresden, war der erste schwarze Polizist in Ostdeutschland. Ich lebe schon seit etwa drei Jahren nicht mehr in Ostdeutschland, bin nach Köln gezogen, um der alten Heimat zu entkommen. Hier kann ich in die Masse eintauchen. Wenn ich dagegen in einem Vorort von Dresden einkaufen gehe, bin ich immer noch das Kuriosum, die Drogerie-Verkäuferin verfolgt mich auf Schritt und Tritt, während drei weiße Kundinnen in Ruhe einkaufen. Victoria Letztens war ich in Nürnberg, und da sieht man alle naselang Schwarze rumlaufen. Hier in Pirna sind wir ja nur sieben schwarze Jugendliche insgesamt. Was mich so erstaunt hat, war, dass ich in Nürnberg überhaupt nicht angeschaut wurde. Ich bin es ja aus Pirna gewohnt, dass man mich immer anstarrt. Das war wirklich toll. Ade Bantu Wenn mir in Köln jemand den Hitlergruß zeigt, weiß ich mich zu wehren. Da glaube ich noch an die Polizei auf meiner Seite. Im Osten fühle ich mich total schutzlos. Chima Onyele Auch am Stuttgarter Hauptbahnhof werde ich manchmal angerempelt. Das geht mir aber am Arsch vorbei. Weil ich darauf vertraue, dass mir Leute zu Hilfe kommen oder es zumindest nicht gutheißen würden. Dieses Vertrauen habe ich in den neuen Bundesländern nicht. Da gehe ich dann immer mit diesem Scanner-Blick durch die Straßen. Im Endeffekt ist es aber eine hohe Erwartungshaltung an ostdeutsche Jugendliche, sich ihrem rechten Umfeld entgegenzustellen. Diese Zivilcourage wird dir in Frankfurt, München, Hannover nie abverlangt. Tchbodi Kodjo* Ich werde jetzt noch die Gerichtsverhandlung wegen des Überfalls auf mich abwarten und dann von Magdeburg weggehen, für immer. Ich schaue, dass ich nach Berlin, Hamburg oder Hannover gehe. Als ich in diesen Städten mal zu Besuch war, war ich fast schockiert, wie selbstverständlich die Afrikaner dort herumlaufen konnten; die Frauen tragen die traditionellen afrikanischen Kleider. Wenn man das in Magdeburg machen würde, würde man ständig blöd angeredet werden.

    4. Perspektiven Abou Souker Ich arbeite bei der Flüchtlingsinitiative Brandenburg, weil das eine gute Möglichkeit ist, die Asylbewerber aufzuklären, ihnen zu sagen, was sie machen können. Wir organisieren Konferenzen und Demos oder auch Sportveranstaltungen; wir gehen in die Heime und machen den Leuten Mut. Ich als jemand, der auch jahrelang in so einem Heim gewohnt hat, im schlimmsten von allen wahrscheinlich in Brandenburg, ich sage den Leuten: Ihr dürft nicht bleiben, wo ihr seid. Ihr müsst Leute treffen, auch mal nach Berlin fahren. Ich habe das auch geschafft, weg aus dem Heim in Bahnsdorf zu kommen, ich bin seit vier Monaten verheiratet, wohne zusammen mit meiner Frau, und ich glaube, der extra große Stress, den ich als Asylbewerber hatte, ist vorbei. Man darf nicht mit Angst kämpfen. Wenn du mit Angst kämpfst, hast du schon verloren. Patricia Vester Mit dem Verein »Black Flowers« engagiere ich mich für eine Zukunft, in der die Hautfarbe meines Sohnes und seiner Freunde akzeptierter Bestandteil des Deutschlandbildes ist: Ich habe für das geplante Begegnungscafé den Literaturpart übernommen, möchte Kindern dort afrikanisch geprägte Kultur und Literatur näherbringen. Mein Sohn zum Beispiel hat eine ganz starke politische Einstellung: Er weiß über Ungerechtigkeit und Hautfarben Bescheid und interessiert sich für alle Nachrichten, die im Zusammenhang mit Rassismus stehen. Und nachdem wir André Hellers Afrika! Afrika! angeschaut hatten, war er so begeistert, dass er jetzt unbedingt seinen afrikanischen Großvater besuchen will. Darüber freue ich mich sehr. Und auch wenn ich oft ziemlich besorgt bin, versuche ich doch meinem Sohn meine Angst nicht zu zeigen – um ihm nicht die Unbeschwertheit zu nehmen. Freddie Debrah, 26, Ghana, lebt als Fußballspieler in Berlin, seit 17 Jahren in Deutschland. Bei meinem Verein, dem SV Altlüdersdorf in der Nähe von Berlin, hat es eigentlich bisher nie Probleme gegeben. Wenn du Fußball spielen kannst, dann ist alles klar. Bei den Heimspielen ist das auch toll. Die Zuschauer, unglaublich viele für die Verbandsliga, wollen einen am liebsten umarmen. Und wenn die Fans einer gegnerischen Mannschaft Ärger machen, dann treten hier alle für mich ein. Alida Babel, 45, lebt als Filmcutterin in Potsdam, seit 1969 in Deutschland. Die Menschen in Ostdeutschland sind relativ unnahbar, aber herzlich, wenn man sie kennenlernt. Vieles läuft da über meine Kinder, sie sind vier, sieben und elf Jahre alt. Sie nähern sich durch gemeinsames Spielen an, was sich oft auf die Eltern auswirkt – die grüßen mich plötzlich, sind erstaunt, dass ich so gut wie sie Deutsch spreche, und schauen nicht mehr so finster. Ich komme ursprünglich aus Gelsenkirchen und bin vor sieben Jahren nach Potsdam gezogen. Hier habe ich einen Film für die Schulen gedreht: eine Dokumentation über schwarze Jugendliche in Potsdam, ihren Alltag und ihre Bedürfnisse. Mir ist aufgefallen, dass es kaum Literatur und Filme gibt, in denen sie sich wiederfinden können. Daher schreibe ich auch Stücke über schwarze deutsche Kinder. Wenn man KiKa guckt, kommen schwarze Kinder nur in Klischeerollen vor: als tanzende, singende Clowns. Uns gefällt Potsdam gut und wir möchten hier bleiben. Und wenn wir im Umland Menschen treffen, die mit offenem Mund dastehen, wenn sie uns sehen, lachen sogar meine Kinder drüber. Asumaila Atoude In dem alten Betonwerk, wo ich angegriffen worden bin, haben wir während der WM ein Fest gemacht. Wir haben eine Großbildleinwand aufgehängt und ein Viertelfinalspiel angeschaut. Es waren viele Bewohner aus dem Heim da, ein paar Leute aus Rathenow kamen auch vorbei, mit den Kindern sogar. Das war mal ein ganz netter Abend, weil ich sage immer: Wir brauchen mehr Kontakt mit den Leuten hier. An dem Tag hatte ich zum ersten Mal keine Angst, obwohl ich genau an dem Ort war, wo ich überfallen worden bin. An diesem Tag war ich glücklich. Noah Sow Trotz der absurden Erfahrungen, die ich im Osten gemacht habe, denke ich mir: Fuck you, das ist immer noch mein Land. *Namen von der Redaktion geändert Interviews: Andreas Bernard, Jonathan Fischer, Kerstin Greiner, Meredith Haaf, Johannes Waechter; Zusammenstellung: Andreas Bernard; Fotos: Eva Leitolf.