Einmal Pho Bo, aber mit Alkohol

Aus Vietnam kommt ein Cocktail, der sich aus einer Nudelsuppe entwickelt hat: der Phojito. Der Drink steht für ein Land, das nie stillsteht.

Foto: Maurizio Di Iorio

Vieles, was man mir auf der Journalistenschule beizubringen versucht hat, habe ich mittlerweile vergessen, aber an einen Fachbegriff erinnere ich mich, ich lasse ihn sogar regelmäßig in Gespräche einfließen, um klüger zu erscheinen, als ich eigentlich bin: Line Extension – schon mal gehört? Keine Sorge, ich damals auch nicht. Eine Line Extension liegt vor, wenn ein Unternehmen ein erfolgreiches Produkt variiert und ein zweites, drittes, viertes Produkt daraus macht. Ob das denkfaul oder raffiniert oder beides ist, darüber kann man streiten. Ein Beispiel: Sicher kennen Sie die Frauenzeitschrift Brigitte, das ist seit 1954 das Original. Danach kamen immer mehr Ableger dazu, Brigitte Woman, Brigitte Mom, Brigitte Wir, Brigitte Be Green, Brigitte Leben, Brigitte Young Miss und Brigitte Balance, das sind die Line Extensions. Nicht alle gibt es noch. Die Strategie geht auf, aber nur bis zu ­einer bestimmten Grenze. Wird sie überschritten, fühlen sich die Kunden verarscht und kaufen vielleicht nicht mal mehr das Original. Streng genommen ist auch das SZ-Magazin eine Line Extension.

Vor Kurzem bin ich auf eine bemerkenswerte Line Extension gestoßen, einen Cocktail, der sich aus einer Nudelsuppe entwickelt hat. Sicher haben Sie mitbekommen, welch erstaunliche Karriere die vietnamesische Küche, besonders die traditionelle Reisnudelsuppe Pho Bo, in Deutschland hingelegt hat. »Hast du Lust auf eine Pho Bo?« ist ein Satz, der längst auch in Wuppertal und Passau so selbstverständlich fällt wie »Hast du Lust auf ein Bier?«. Das Zeug schmeckt ja auch wirklich fantastisch, und bei einer Erkältung tröstet nichts zuverlässiger. In Vietnam wird Pho Bo gern bereits zum Frühstück gelöffelt, zwar hat es vor allem im Süden schon morgens 30 Grad, aber das ist egal, ohne Suppe geht es nicht. An Weihnachten soll sie bei ­unserem Bundeskanzler auf den Tisch gekommen sein.

So muss sich das Wirtschaftswunder in Deutschland damals angefühlt haben: Alle wollen was, alle helfen mit, keiner jammert rum

Meistgelesen diese Woche:

Und jetzt hat ein cleverer Mensch eben einen Cocktail draus gemacht, der wegen ­seiner Zimt-, Kardamom- und Sternanisaromen an die beliebte Suppe erinnert. Im Gegensatz zu ihr ist der Drink bei uns noch nicht stark verbreitet, im Moment schwappt er aus den schicken Bars in Hanoi und Hongkong in den Westen. Wer nicht warten will, findet aber schon Rezepte im Netz, zum Beispiel das: Erhitzen Sie 60 Milliliter Gin und 30 Milliliter Cointreau sowie ­einen Teelöffel mit Pho-Bo-Gewürzmischung und zwei Esslöffeln Zucker und lassen Sie das Ganze zehn Minuten köcheln. Danach die Hitze steigern, flambieren und mit 30 Millilitern ­Limettensaft löschen. Anschließend durch ein Sieb abgießen, auf ordentlich Eis servieren und mit Korianderblättern garnieren.

Für mich ist dieser würzig-starke Drink mehr als ein Cocktail, auch mehr als eine raffinierte Line Extension, er ist ein Symbol für ein Land, das sich rasant entwickelt. Ich war schon oft in ­Vietnam, und immer wenn ich da bin, sieht alles anders aus. Die Städte flirren vor Energie, die Menschen sind tüchtig und ehrgeizig. Von den fast 100 Millionen Vietnamesen ist jeder vierte jünger als 15 Jahre, und fast alle haben dieses Feuer im Blick. Manchmal stehe ich an einer Kreuzung in Ho-Chi-Minh-Stadt, um mich herum 300 Roller, die jeden Moment losfahren, und zwar alle auf einmal in ver­schiedene Richtungen. So muss sich das Wirtschaftswunder in Deutschland damals angefühlt haben: Alle wollen was, alle helfen mit, keiner jammert rum.