Sie kennen diesen passiv-aggressiven Trick des angeblichen »Nicht-Verstehens«, oder? Das ist so wie dieses »Nicht-Lästern-Wollen«. Und gerne tritt es auch gemeinsam auf. Achtung, so: »Ich will ja nicht lästern, aber eines verstehe ich bei denen echt nicht …« und dann kommt die vermeintliche Frage: »Wieso haben die Kinder, wenn sie sich nicht kümmern?« Ja, Sie merken schon, das ist gar keine offene Frage. Das ist eine ideologisch motivierte Beobachtung plus Lebensplanungsanmaßung.
So, jetzt kommt die Sache, die ich wirklich nicht verstehe. Warum machen Menschen aus Gemüse Getränke? Und da will ich nicht auf irgendeine Fleischfresserpointe hinaus à la »Weil man Rind nicht trinken kann«. Ich frag mich das eher so: Warum die gefühlt 14 Lebensmittel, die man bedenkenlos essen kann, pürieren und in einem runterkippen? Wäre nicht das Gegenteil sinnvoll? Tomaten andächtig achteln statt vierteln, mit Meersalz bestreuen, schön pfeffern, nett drapieren, Möhrensticks knabbern statt schlingen, Sellerie zuzeln statt kauen. Aber klein häckseln und die Freikalorien runtertrinken scheint mir so ziemlich das Sinnloseste zu sein, wie man leckere Nahrung zu sich nehmen kann.
Dabei geht es zumindest beim Abnehmen doch darum: oft am Tag essen, ohne viel Kalorien aufzunehmen. Das Essen darf aber durchaus dauern. Den Siegeszug der stacheligen Artischocke bis rein in die Yachthafen-Restaurants am Mittelmeer hatte ich mir zumindest so erklärt. Auf Instagram sieht man immer Menschen, die Wassermelone, Avocados und rohen Thunfisch zusammentragen, ewig daran rumschnippeln, alles nur mit Limette marinieren, dramatisch Sesam drüberstreuen und dann selig in die Kamera gucken, weil sie von diesen Nicht-Kalorien mal ’nen ganzen Teller essen dürfen.
Und: Haben die Gemüsetrinker alle keine Kinder? Allein schon um Freude am Essen zu verbreiten, ohne zu platzen, sind viele Eltern Gemüseesser – sie müssen einfach viel Zeit gesellig kauend rumkriegen, während die Kinder noch an den Kartoffeln sitzen.
Aber selbst wer den Körperkapitalismus abgelegt hat, wird sich doch fragen: Warum unbedenkliches Gemüse so achtlos wegtrinken? Bei der Produktion von Gemüse leiden oder sterben keine Menschen, es werden keine Tiere getötet, und ein Apfelbaum, ein Tomatenstrauch, ein Selleriehain zerstören auch nicht die Umwelt. Ethisch sind die Möhren vom Acker vor der Stadt also ein echter Entspanner. Warum die Esszeit, in der man keinem was zuleide tut, verkürzen?
Einzig eines kann ich als Argument durchgehen lassen: die Faulheit. Wann immer sich Menschen schöne Snacks herrichten, nehm ich etwas, das aus einer Packung, die man nur aufreißen muss, stammt: Brot-chips, Zimtschnecken, Salzstangen, Knäckebrot. Sobald jemand anderes meine Versorgung übernimmt, nehm ich erst mal ab; selbst am Robinson-Club-Buffet oder auf Weihnachtsbesuch bei meiner Mutter.
Was ich an dem Gemüsesaft auch nicht verstehe: Wie geht das in Gesellschaft? Wie deckt man den Tisch ein, wenn einige unter den Gästen nur noch Bolognese-Trinker sind? Ist das gemütlich, wenn die Hälfte nur ein Glas vor sich stehen hat, während die anderen in einem saftigen Teller Spaghetti herumdrehen? Dürfen die einen schmatzen, wenn die anderen schlürfen?
Letzte Frage: Wieso nimmt man sich freiwillig die Sinneserfahrung des Konsistenzunterschieds: Tomaten schön schlotzig, Möhren gut hart, Spinat so zart. Wieso stattdessen Brühe mit Bröckchen? Danach ist man doch wahrscheinlich sofort pappsatt – und das, ohnegegessen zu haben. Ich versteh das nicht. Aber ich werde nicht lästern.