Ist allein, wer allein isst?

Alleinsein ist verpönt – das wird unserem Autor klar, als die Ikea-Limonade in seinen Pappbecher schießt und ihn dabei Paare umzingeln. Dabei kann es doch so schön sein, meint auch seine Mutter.

Foto: Erli Grünzweil

Der Ikea-Gründer Ingvar Kamprad fuhr gern Bus. Das machte ihn sympathisch. Ein Milliardär, der nicht Privatjets fliegt, sondern seinen Gluteus milliardareus auf einen vergilbten Plastiksitz in den öffentlichen Nahverkehr pflanzte. Ich stehe vor dem Getränkeautomaten in einem der 480 Ikeas auf der Welt und halte Ingvar Kamprad für einen Geizhals. Warum sonst landen in den Getränkebechern nie mehr als zwei Schlucke? Ich drücke auf den Knopf, Lingon, Preiselbeere, es schießt ein gischtiger Schwall in den Becher, gerade noch kann ich ihn wegziehen, bevor er überquillt. Ich starre den Schaum an, der sich nur langsam löst, rosa Wolken. Die Gäste hinter mir starren mich an, genervte Gesichter. Die fünf können’s wohl kaum erwarten, ihre wässrige Lingon-Limo abzuholen, nicht wissend, wie Ingvar Kamprad sie prellen wird. Eigentlich sind es zehn Gesichter, denn alle fünf haben Begleitungen, die bereits die Tische besetzt haben.

Ikea ist ein Ort, den man nur im Rudel besucht. Das merkte ich, denn ich war allein im Ikea. Dafür konnte selbst Ingvar Kamprad nichts. Ich brauchte eine Halterung für meine Pflanzen, aber vor allem brauchten meine Pflanzen das Gefühl, dass sie mir immer noch wichtig sind. Ich eilte durch die studentischen Eigenheimträume, dabei säuselte Telefonwarteschleifenmusik, und fast hätte ich vergessen, dass ich allein bin, wären nicht überall Paare um mich herumgewuselt. Junge Paare, die ihre erste Wohnung einrichten. Töchter und Väter, Mitbewohner und Mitbewohnerinnen, Freunde. Natürlich gab es auch einzelne Menschen. Die marschierten aber stets im forschen Schritt durch die Gänge, während die anderen eher flanierten. In diesem Moment fühlte sich Ikea an wie der einsamste Ort der Welt.

Mir ist es oft unangenehm, Dinge allein zu tun. Dabei bin ich ganz gern allein. Bis in die Nacht Playstation zocken, ohne auf jemanden Rücksicht zu nehmen. Beim Kochen die Musik aufdrehen. Auf Geschäftsreisen esse ich auch oft allein. Da merke ich den Unterschied. Für eine Person, bitte – und schon setzt dich der Kellner an den Tresen, an eine Gruppe oder den windigen Tisch neben dem Eingang. Oder gleich neben das Klo. Da schleichst du wie geohrfeigt durch den Raum, die Blicke meidend, die förmlich schreien: Arme Maus, hat keine Freunde, keine Kollegen, vielleicht sogar gerade verlassen worden, so rufe doch jemand einen Therapeuten! Alleinsein ist verpönt, meistens bei Leuten, die nicht gern allein sind. Ein Journalist der Zeit setzte sich für einen Artikel zu Einzel-Essern dazu, weil er es gar nicht fassen konnte, wieso in Gottes Namen sie allein essen. Diese Annahme sagt schon alles: Wer allein isst, ist auch allein. Die wenigsten kommen auf die Idee, dass manche gerne für sich sind.

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Ich habe ja auch so gedacht. Vor Jahren erzählte mir meine Mutter, dass sie am Wochenende allein im Kino war. Ich hatte gleich ein schlechtes Gewissen, räumte im Kopf schon die Woche frei, um sofort nach Hause zu fahren. War richtig toll!, sagte sie dann. Meine Mutter war mehr als 30 Jahre lang verhei­ratet, hatte als Kellnerin und Geschäftsfrau immer Leute um sich – und nun lernte sie zum ersten Mal, sich selbst auszu­führen. Ich dachte immer, für ein Date braucht es zwei. Meine Mutter sah das anders.

Ja, ja, der Mensch ist ein so­ziales Wesen, aber manchmal will der Mensch auch nur allein ein Partnermenü bestellen und Liebesschnulzen schauen. Ich denke da an ein Zitat aus einer norwegischen Weihnachtsserie. Eine alte Dame mit einem erfüllten Leben ist allein im Krankenhaus. Der Mann verstorben, Kinder hat sie keine. Auf die Frage, ob sie das nicht bereue mit den Kindern, sagt sie, Alleinsein sei nicht das Gleiche wie Einsamkeit. Mit das Schönste am Leben sei es, niesen zu können ohne Hand vorm Mund.