Ich kenne natürlich die Gründe, die dagegensprechen, auf Instagram zu sein, auf Facebook oder X. Jeder, der sich laut trommelnd abmeldet, liefert sie ja immer mit. Sie haben mich aber nie überzeugt. Dass jemand, den ich nicht mag, durch meine Konsumentscheidungen reich wird, ist nicht neu. Ich kaufe Marken, deren Besitzer mir unsympathisch oder sogar in ihrem Weltbild fremd sind, ich habe Streaming-Abos, um mir Fußballspiele anzuschauen, in denen Frauenschläger mitspielen, ich unterstütze gelegentlich Musik von Kinderschändern, indem ich sie höre, ich kaufe Lebensmittel, die kolonialistische Strukturen aufrechterhalten. Ich hatte nie den Anspruch an meine Konsumentscheidungen, die Welt zu verändern. Die Erzählung, man schmälere den Einfluss dieser Leute, wenn man sich von ihren Plattformen abmelde, glaube ich nicht. Das Gegenargument halte ich ebenso für Quatsch: Man müsse dort bleiben, um das Feld nicht den Rechten und Verschwörungstheoretikern zu überlassen. Kurz: Ich habe das Ganze nie ideologisch bewertet. Bis neulich am Kniffel-Tisch.
Es gibt wenige Orte, an denen man das Handy vergisst, Social Media egal ist und keine E-Mails gecheckt werden. In meinem Leben sind das: im Schwimmbad, im Schlaf und wenn gespielt wird. Da ist es manchmal zwei Stunden später, und ich stelle irritiert fest, dass ich nicht einmal weiß, wo das Handy überhaupt liegt, wenn ich kurz aus dem Würfeltaumel auftauche.
Es war aber nicht die Abwesenheit des Handys, die diesen neuen Gedanken aufbrachte. Es war das, was am Tisch ablief: nämlich das gute alte konzentrierte Zusammensein. Also nicht räumliches Aufeinanderhocken bei gleichzeitiger mentaler Versunkenheit in Insta-Reels, sondern das gedankliche Aufeinander-Ausgerichtetsein. Das echte Zuhören, das Interagieren, das Sich-Sehen, Sich-Wertschätzen, Wachsein zusammen, Premiumzeit.
Ich wurde richtig sauer. Nicht, weil mir kein Kniffel gelang und ich am Ende 13 auf die Chance schreiben musste. Nicht, weil Mark Zuckerberg offenbar seit Neuestem ein Macho ist oder viel zu reich oder gefährlich mächtig, sondern weil wir ihm so viel Aufmerksamkeit schenken. Dass der daraus einen Haufen Geld macht: geschenkt. Es war etwas anderes, das mir plötzlich geradezu absurd vorkam, nämlich wie freigiebig wir das Wertvollste hergeben, was wir haben: unsere Zeit, unseren Fokus, unsere Kreativität – in der Kombination jenes offene Mitdenken, aus dem Ideen entstehen. Und wie viel wir leichtfertig dafür sausen lassen.
Kann es sein, dass Zuckerberg und Musk diesem Land längst eine relevante Größe Energie entziehen? Wer auf sozialen Medien herumhängt – und das tun selbst die jüngsten, noch minderjährigen Nutzer inzwischen im Schnitt ganze 157 Minuten pro Tag –, der gründet keinen Verein, hilft nicht dem kränklichen Nachbarn, gärtnert nicht, züchtet keine Bienen, spielt nicht mit Kindern und geht auf keine Bürgerversammlung, der muss sich schon allein aus Zeitgründen aus der Gemeinschaft zurückziehen.
Was ist, wenn Instagram und X längst als Teil einer hybriden Kriegsführung fungieren? Ein genial einfacher Versuch, uns alle vom analogen Beisammensein abzuhalten, vom Pläneschmieden und Träumeverwirklichen? Was, wenn wir am Ende nicht nur wehrlos sind, weil wir keine Atomwaffen haben, sondern auch weil wir keine intakte Gesellschaft sind? Weil wir uns die Zeit füreinander haben stehlen lassen von grauen Herren, die ja gar keinen Hehl daraus machen, dass sie Empathie für eine Schwäche und Solidarität für eher hinderlich halten. Ich fände das echt ärgerlich. Dann lieber öfter mal einen Dreierpasch streichen müssen.