Mehr Neugier, bitte

Unser Kolumnist nuckelt in der Männer-Sauna an seiner Bierflasche und meint: Unter sich bleiben ist eintönig – das Leben ist spannender, wenn sich die Geschlechter und Milieus mischen. 

Foto: Erli Grünzweil

Man muss kein Flugzeug besteigen, um fremde Kulturen zu bestaunen, manchmal genügt es, sich in München ins Auto zu setzen, vierzig Kilometer nach Nordosten zu fahren und in Erding auszusteigen. Sie ahnen es: Ich war in der größten Therme der Welt, 40 Becken, 35 Saunen, 5000 Besucher am Tag – eine Kleinstadt voller Nackter, die sich merkwürdig benehmen. Irgendwann landete ich in einem holzvertäfelten Raum samt Eckbank und Kachelofen. Erst wähnte ich mich in einem der zahlreichen Gastronomiebetriebe – okay, dachte ich, dann eben Schweinebraten –, aber weil es doch ziemlich heiß war, begriff ich nach und nach, dass ich in einer Sauna, der sogenannten Zirbelstube, gelandet war. Fünf Minuten später saßen zwanzig Typen um mich herum, Oberschenkel an Oberschenkel, dickbäuchig und schmächtig, leichenblass und solariumgebräunt, manche hatten mehr Haare auf dem Handrücken als andere am ganzen Körper. Es waren auch einige Prachtexemplare darunter, breitbeinig, mit feisten Kniescheiben, mit sich und der Situation aufs Vollkommenste im Reinen. Und weil sich die Angelegenheit »Men only – Bier-Aufguss« nennt, knallte der Saunameister dann noch einen Kasten Erdinger auf den Tisch und begann, Bier­flaschen zu verteilen, alkoholfrei, aber egal, damit hatte ich nicht gerechnet. Eine Weile nuckelte ich an meiner Flasche – mir war nicht nach Bier –, und während die anderen anfingen, sich zuzuprosten und sogar kleine Unter­haltungen anzuzetteln, wurde ich immer stiller und nachdenklicher, und irgendwann fühlte ich mich so unwohl, dass es sich nicht mehr verbergen ließ: Ich mag keine Männerrunden und keine Männerabende, noch nicht mal angezogen.

Nicht falsch verstehen: Es kann sehr lustig, ja erlösend sein, mit ein, zwei anderen Männern Informationen zu teilen, die Frauen teils zu Recht, teils zu Unrecht in den falschen Hals bekämen, ich bin mir sicher, das gilt andersrum genauso, aber wenn sich eine Art Rudel bildet, um »unter sich zu sein« oder »ordentlich steil zu gehen«, bin ich raus. Junggesellenabschiede und Vatertagsausflüge sind nichts für mich, im Gegenteil, sobald ich auf der Straße einer angetrunkenen Männergruppe begegne, werde ich für einen Moment unendlich traurig. Die Sache hat nichts Politisches, ich fand Judith Butler immer faszinierend, aber nie überzeugend. Ich habe einfach nur die Erfahrung gemacht, dass gemischte Abende lustiger, interessanter, würdevoller ablaufen. Männer drohen vulgär zu werden, wenn sie nicht korrigiert werden, wenn da niemand ist, der sie einhegt und zivilisiert, ganz sicher bleiben sie weit unter ihren Möglichkeiten. Oft geht es nett los, aber irgendwann fängt einer an, derb daherzureden, und der Abend gerät in Schieflage. Weil mir die Situation unangenehm ist, weiß ich mir oft nicht anders zu helfen, als besonders blöd daherzureden, eine Art absichtliches Übers-Ziel-Hinausschießen, um ein Ende des Gesprächs zu erzwingen, aber keiner erkennt meine Not, im Gegenteil, alle finden es lustig, und je mehr sie lachen, desto peinlicher werde ich mir selbst, am Ende bin ich stundenlang damit beschäftigt, die Scham wieder loszuwerden.

Ich habe nie verstanden, wa­rum Menschen so gern unter sich bleiben. Männer unter Männern. Grüne unter Grünen. Schwule unter Schwulen. Rechtsradikale unter Rechtsradikalen. Ich kenne Journalisten, die reden den ganzen Tag von Diversität und treffen doch nur andere Journalisten. Es wäre so viel inspirierender, wenn wir ein bisschen neugieriger wären. Also, ich bin gleich nach der Zirbelstube an die Poolbar, wo ich mir auf einem von lauwarmem Wasser umspülten Hocker aus Fake-Marmor eine Piña colada im Plastikbecher genehmigte, selbstverständlich unter Palmen, selbstverständlich war ich nackt.