Komm, schenk dir ein

Meer, Schwimmen, Urlaub: Ein Restaurant-Besuch wird zum Sehnsuchtskatapult für unsere Autorin. Schuld daran ist, natürlich, der griechische Wein.

Foto: Maurizio Di Iorio

Neulich war ich beim Griechen, mit meinem Mann, unserem Sohn, meiner Freundin Julia und meinem Freund Michalis. Julia und Michalis kennen sich aus mit griechischem Wein, Mann und Sohn sind Bosse in feinem Essen, und ich weiß, wie man trinkt. Die Lage war also insgesamt gut.

Wir bestellten einen großen Satz Vorspeisen, eine Cola für den Teenager und eine Flasche Malagousia, wir redeten und aßen und tranken, und ich begann zu träumen – vom letzten Glas Malagousia, das ich an einem warmen Abend im Juni mit Julia auf einer Kykladeninsel getrunken hatte. Tagsüber waren wir fünf Kilometer im offenen Meer geschwommen, wie an jedem Tag dieser einen, ganz besonderen Woche. Und spätestens wenn der gegrillte Fisch auf dem Tisch gelandet war, machte sich die Sonne bereit, um in einem Glas Weißwein unterzugehen.

Im Restaurant landeten der gegrillte Fisch für uns und die mannigfaltigen Souvlakispieße für den Teenager auf dem Tisch, wir bestellten eine zweite Cola und eine zweite Flasche Malagousia, und wir redeten über Südeuropa, über Spanien und Portugal und Italien und die Türkei, und natürlich über Griechenland, ein bisschen übers Essen und über Olivenöl, ein bisschen über Politik. Ich träumte von Kimolos, einer kleinen Insel nördlich von Milos, die Julia und ich im Sommer nahezu umrundet hatten, ich träumte von Salzwasser, Wind und Wellen, von der Sonne im Haar und auf den Schultern, von Booten und Seegras und Felsen, und von der Dusche, unter der ich all das abends nur widerwillig abwusch.

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Michalis bestellte noch ein Stück Fleisch, gegrillte Leber mit Salbei, das sah außergewöhnlich gut aus, und es schmeckte auch fan­tastisch, wir waren super gelaunt, also setzte sich der Chef zu uns, der auch Michalis hieß, und er hatte eine dritte Flasche Wein dabei, goldfarben und von Santorini, und ich war unter Wasser, ich zog und atmete mit Julia im Takt, wir schwammen synchron raus zum Schiff, wir ließen die Küste hinter uns, das Meer wurde offener und tiefer, die Felsen verschwanden, mein Blick ruhte auf der Tiefe, ich wurde eins mit der Tiefe, unter mir nur das große Blau und der Meeres­boden, und neben mir atmete meine Freundin im Takt. Alles war gut, es war gut wie vielleicht noch nie. Und als mein Mann sich mit dem gelangweilten Teenager auf den Weg nach Hause machte, zogen wir übrig gebliebenen drei und dann vier uns zwischen die Wein­regale vor der Küche zurück, denn Michalis, der Chef, brachte eine weitere Flasche Wein und sich mit, aber ich trank nur noch Wasser, Wasser, Wasser, denn ich war schon ganz woanders, ich war morgens, ich war Terrasse, ich war Brandung und Licht, ich schmeckte Kaffee und Joghurt mit Honig, kurz bevor es wieder auf die Strecke ging, und ich beschloss, eines Tages den Hellespont zu durchschwimmen, ich bildete mir ein, ich sei Lord Byron, und im ­Ein­bilden bin ich wirklich groß, Einbildungsministerin ist quasi mein Beruf.

Später im Schlaf dann war mir leicht und schwer zugleich ums Herz, denn griechischer Wein ist so wie das Blut der Erde … wann kann ich zurück in die Ägäis … komm, schenk dir ein, und wenn ich dann traurig werde … wo ist hier das verdammte Salzwasser … liegt es daran, dass ich immer träume von daheim … ich will ein paar Feuerquallen streicheln … du musst verzeihen, das war nur der griechische Wein.