Ich habe gelesen, dass in der Hip-Hop-Szene Sprite mit Hustensaft und pulverisierten Fruchtbonbons getrunken wird – das Zeug heiße Dirty Sprite, Purple Drank oder Texas Tea und mache kurz auf euphorische Art benommen und danach jahrelang süchtig. Es gibt sogar einen Rapper, der Hustensaft Jüngling heißt, aber wenn man es genau nimmt, war ich vor ihm da. Wenn ich als Junge aufwachte und der Hals kratzte, war mein erster Gedanke: Okay, also krank! Und mein zweiter: Hoffentlich nicht richtig, also bitte ohne Fieber, aber doch so, dass ich nicht zur Schule muss. Ich rief nach meiner Mutter, hustete, schaute ihr kurz in die Augen, hustete noch mal und setzte einen erwartungsvollen Blick auf. »Okay, dann bleibst du heute mal zu Hause«, sagte meine Mutter, und danach war alles, wirklich alles gut.
Meine Mutter legte mir eine Wärmflasche auf den Bauch, ich schlief wieder ein, alles war warm und friedlich, eine halbe Stunde später kam mein Vater aus der Praxis, setzte sich im weißen Kittel an mein Bett, legte mir die Hand auf die Stirn, horchte mich ab und nickte: Ja, erst mal zu Hause bleiben sei wohl das Beste. Dann verschwand er, kam mit einem Fläschchen Hustensaft zurück und schob mir einen weißen Plastiklöffel mit einer zähen Flüssigkeit in den Mund. Das Zeug schmeckte, als hätten Chemiestudenten versucht, mit Hilfe künstlicher Inhaltsstoffe ein natürliches Aroma zu simulieren. Ich schluckte, verzog das Gesicht, schüttelte den Kopf schnell hin und her.
Dafür war der Moment danach unglaublich. Ich fühlte mich rundum geborgen, ja am Ziel: Jetzt nur noch dösen, Tee trinken, wieder dösen, Hühnersuppe löffeln. Keine Termine, keine Hausaufgaben, der Tag lag in seiner ganzen Pracht vor mir, ich musste nicht aufstehen, nicht duschen, nicht funktionieren – ein Gefühl, das es für erwachsene Menschen praktisch nicht mehr gibt, weil irgendwas immer zu tun ist, und wenn nur ein Paketbote an der Tür klingelt, ob man eine Sendung für den Nachbarn annehmen könne.
Vor vielen Jahren traf ich die Philosophin Ágnes Heller in Budapest. Einen Satz, den sie sagte, habe ich nie vergessen: »Es gibt keinen Verlust ohne Gewinn. Und keinen Gewinn ohne Verlust.« Was sie meint: In jedem Schicksalsschlag liegt Hoffnung, in jedem Glück ein Stück Vergänglichkeit. Hustensaft war für mich immer beides zugleich: eklig und verheißungsvoll, also eine Tortur, aber eben auch das Versprechen auf zwei, drei Tage Müßiggang im bequemsten Bett der Welt, während meine Mutter im Wohnzimmer Bach auf dem Klavier spielte oder Scarborough Fair auflegte.
Bis heute ist es der Geschmack von Hustensaft, der mir dieses kleine Glück in Erinnerung ruft. Krank, aber frei. Hustensaft war damals das Symbol für Medizin schlechthin. Als Kind hat man ja keine Ahnung vom Krank- und Gesundsein. Heute nehme ich Omeprazol gegen Magenschmerzen, Zopiclon, um auf Langstreckenflügen wenigstens ein bisschen schlafen zu können, Ibuprofen gegen alles, damals kam es mir vor, als sei Hustensaft die einzige Medizin der Welt, als könne Hustensaft jede Krankheit heilen.
Übrigens kommt auch bei den Simpsons ein Cocktail mit Hustensaft vor – der »Flaming Moe«. Für alle, die ihn probieren wollen, das Rezept geht so: Erstens alle vorhandenen Spirituosen und eine Flasche »Krustys nicht narkotisierender Hustensaft für Kinder« in ein Gefäß geben. Zweitens die gesamte Flüssigkeit mixen. Drittens das Getränk anzünden, anschließend wieder löschen. Für Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie aber bitte Ihren Arzt oder Apotheker.