Mal eben auf einen Drink

Wenn unser Autor Freunde treffen will, dann muss er einen Antrag stellen – so verplant, wie alle mittlerweile sind. Er fragt sich: Wann und wo ist eigentlich die Spontaneität verloren gegangen?

Foto: Erli Grünzweil

Es gibt schlimmere Tage für einen spontanen Drink als einen Mittwochabend. Montag zum Beispiel. Wer montags einen Drink braucht, weil die Arbeit blöd ist, braucht einen neuen Job. Dienstag ist auch knifflig, seit der Tag ­als »Tipsy Tuesday« vermarktet wird. Also Mittwoch. In meinem Heimatort soff man mittwochs Bier und nannte das Gelage dann »Bergfest«. Die Hälfte der Woche war geschafft, man ist über den Berg. Ja, der Humor war wie das Flussbett, in das man später gekotzt hat: seicht.

Ich rufe meine Freundin J. an. Es klingelt. Eine Stimme sagt: »Der Teilnehmer ist gerade nicht erreichbar, wird aber über SMS informiert.« J. schreibt eine Stunde später. Gerade sei es schlecht. Sie sei beim Essen. In Japan.

Ich rufe meinen Freund M. an. Es klingelt. Eine Stimme sagt: »Hallo. Hier ist die Mailbox von M.« Wir kennen uns gut, die Mailbox und ich. Quatschen oft.

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Gut, selbst schuld. Hätte ich mal einen Termin gemacht. Geht ja nicht mehr ohne. John Lennon sagte mal: Leben ist das, was ­passiert, während du dabei bist, andere Pläne zu machen. John Lennon saß vermutlich auch nie an einem Morgen zu Monatsanfang im Wartezimmer des Bezirks­amts Altona und hat spontan versucht, seinen Hauptwohnsitz umzumelden. Hätten die Beatles mal ein Remake gemacht. All you need is an onlinetermin.

Als Kinder haben wir uns auf dem Pausenhof für den Nachmittag verabredet. Heute stelle ich Anfragen. Für Lunch-Dates, Get-Togethers, Afterwork-Drinks. Gerade bin ich bei Whatsapp in drei Geburtstagsgruppen, zwei Geburtstags­ge­schenkplanungsgruppen und einer Ich-ziehe-weg-Abschiedspartygruppe. Jeder ging ein »Save the date« voraus. Eine Einladung vor der Einladung. Mittlerweile bekomme ich mehr Save-the-Date-Nachrichten als Spam-Mails von reizenden Oligarchinnen, die in mich verliebt sind und mit mir ihr Vermögen auf den Malediven verprassen möchten.

»Die meisten Menschen sind einfach zu verplant, um verpeilt zu sein«

Wenn mir die ganze Planerei wieder zu viel wird, rufe ich meine Freundin C. an. Es klingelt. Eine Stimme schreit: »HALLO, HALLO!«

»Lust auf einen Drink?«, frage ich.

»Heute ist schlecht. Besser morgen«, sagt C.

»Was machst du denn heute?«

»Ich weiß es auch nicht. Ich hab Schiss zuzusagen, und dann hab ich irgendwas vergessen!«

C. ist meine Spontaneitäts-Komplizin. Wir rufen einander an, wenn wir spontan aus­gehen wollen. So wie an jenem Mittwoch. Vergessen hat sie dann doch nichts, also treffen wir uns in einem brandneuen Lokal, das sie mir zeigen will. So beginnen meistens die Abende mit C.: Rotwein beim Griechen, und im nächsten Moment tanzen wir halb nackt in einer verrauchten Techno-Höhle. An diesem Abend sinnieren wir darüber, wie dieser Schlamassel namens Erwachsenwerden eigentlich passieren konnte. Gerade kippt man noch Dosenbier auf einem Parkplatz und küsst die Liebe des Sommers, und plötzlich redet man über Rückenschmerzen und Staubsaugerroboter und Berufsunfähigkeitsversicherungen. ­­­­­Zu Neujahr nimmt man sich irgendeinen Unsinn vor und will ­eigentlich das Gegenteil, nämlich weniger Pläne, und dann geht das Gejammer wieder los. »Die meisten Menschen sind einfach zu verplant, um verpeilt zu sein«, sagt C.

Deshalb haben wir einander geschworen, dem zu entfliehen. Der Tyrannei des Trotts, dem Automatismus des Alltags! Nach zwei Drinks sind wir kurz davor, alle Leute zu verprügeln, die in Kalenderwochen planen. Dann stoßen wir an und sagen, dass wir darüber unbedingt weiterreden sollten. Nächsten Mittwoch oder so. Und während wir uns verabschieden, dämmert uns, dass wir wieder in die Falle getappt sind. Aber das ist nicht schlimm. Geplante Treffen kann man ja spontan absagen.