Ode an den Krümeltee

Ein ungesunder Kinder-Trunk verdreht unserem Autor viel zu lange schon den Kopf. Wird er je von seiner süßen Jugendliebe loskommen?

Foto: Erli Grünzweil

Ein guter Freund sagte mal: Manche Beziehungen halten einen Sommer, andere ein ganzes Leben. Beides völlig okay. Unsere dauerte lang, viel zu lang. Du hast mir nicht gutgetan. Ich wollte dich trotzdem. Jedes Mal, wenn ich verspreche, das wird der letzte Schluck, bist du völlig aufgelöst. Bei Menschen wäre mir das unangenehm. Bei dir denke ich: So bist du eben.

Wir trafen uns vor vielen Jahren. War ich zehn, elf? Es war einer dieser Freitage in den Sommerferien. Meine Freunde fuhren Jetski auf Korfu. Ich radelte zur Kinderfreizeit ins nächste Dorf. Die Jüngeren spielten Wikingerschach, die Älteren kifften heimlich im Wald. Zur Pause nahm der Gruppenleiter eine gelbe Dose und rührte braune Krümel in einen Eimer Wasser. Damals hatte ich keine Ahnung, was das für Zeug war. Sah aus wie Fischfutter. Oder Katzenstreu. Erst als sich die Kinder aufreihten und jeder einen bunten Plastikbecher empfing wie Gläubige beim Abendmahl das Blut Christi, ahnte ich, dass diese Krümelbrühe hier etwas Besonderes war.

Eigentlich warst du nicht mein Typ. Süßes mochte ich nie. Desserts lehnte ich ab, Kuchen reichte ich weiter. Schokolade? Vielleicht ein Stück, aus Höflichkeit. Du schmecktest süß. Unverschämt süß. Als wäre eine Zahnprophylaxe unser gemeinsames Lebensziel. Jeder Schluck türmte eine Karamellschicht aufs Gebiss, in der ohne Probleme das Erbgut für einen ganzen Jurassic Park die Jahrtausende überdauert hätte. Ich trank dich aus.

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Ich war wie der letzte Böller aus der XXL-Feuerwerksbatterie, von dem man insgeheim hofft: Der knallt noch!

Deine zweifelhafte Vergangenheit war mir egal. Angeblich stammst du aus einem Labor, als geheimnisvolle Kreuzung aus Aromen und Extrakten. Erfunden von kitteltragenden Menschen, die dir schreckliche Namen gaben: Getränkegranulat. Instanttee. Krümeltee. Es gab Gerüchte über dich. Angeblich haben Kinder wegen dir vorzeitig Milchzähne verloren und brauchten Prothesen. Das Bundesgesundheitsamt warnte, wie ungesund du bist. Man müsse die Jugend schützen! Kampf der Karies! Sie hasst dich, diese Darjeeling-schlürfende Gesellschaft. Ein »Enfant teerrible«.

Ich war kein Rebell. Ich rauchte nicht, trank nicht. Ich war wie der letzte Böller aus der XXL-Feuerwerksbatterie, von dem man insgeheim hofft: Der knallt noch! Knallt aber nicht. Ich wurde älter. Ich wollte mich ausprobieren. Andere Getränke, andere Erfahrungen.

Einmal gab es diese Affäre. Sie hieß Punica. Allein der Name! Punica klang nach Mangos und Palmen und Sand, fein wie Puderzucker. Krümeltee klang nach Wandern im Harz und furzigen Jugendherbergen. Ich habe es dir nie erzählt. Vielleicht war es mir peinlich, dass ich vor der Mattscheibe hing wie ein Süchtiger, wenn die Punica-Werbung kam. Wenn ich sah, wie durstig die Leute im Fernsehen waren, wurde ich auch durstig. Dabei war alles Lüge! Punica war so exotisch wie der Name seines Erfinders: Rolf Dittmeyer. Letztens las ich, dass Punica eingestellt wurde. Dich gibt es immer noch.

Ein bisschen nagt die Scham noch, wenn ich beim Einkaufen an dir vorbeihusche. Du stehst im untersten Regal, bei dem billigen Früchtetee. Ich sollte nicht … oder doch? Nur noch einmal? So als Abschied? Ich greife nach dir. »Mama, ich will das auch.« Neben mir ein etwa Achtjähriger, der auf die bunten Dosen zeigt. Die Mutter zerrt ihn weiter, ihr Blick bohrt sich wie ein Dartpfeil zwischen meine Augen. Ich stelle die Dose zurück. Was uns, den Jungen und mich, wohl verbindet? Außer einer schlechten Impulskontrolle, meine ich. Mir wird warm ums Herz. Halt durch, denke ich. In ein paar Jahren kannst du alle schlechten Entscheidungen selbst treffen. Manchmal muss man erst erwachsen werden, um kindisch zu sein.