Der Impuls ist ja nachvollziehbar. Man hat ein wunderbares Konzert besucht und will ein Stück davon mit nach Hause nehmen. Oft wird es ein Plastikbecher. In meinen Haushalten gab es schon viele dieser Becher. Von Bon Jovi über die Spice Girls bis Grönemeyer, heute haben wir nur noch einen, von der Sängerin LEA.
Er ist nur in dem Sinne ein Mitbringsel, als er von einem Konzert mitgebracht wurde, ansonsten ist er eher ein Anhängsel unseres Haushalts. Dass er nicht dazugehört, merke ich jedes Mal, wenn ich ihn nach dem Spülen einräumen will. Er gehört nicht zu den Plastikschalen, mit denen ich backe. Er ist kein Messbecher, er ist kein Eierbecher. Meistens stelle ich ihn zu den Tassen, obwohl nie jemand aus ihm trinkt.
Er wird mit in die Badewanne genommen, um Hexensud aus meinen teuersten Conditionern zu mischen. Er ist praktisch beim Malen mit Wasserfarben, zum Gießen der Wohnzimmerblumen und beim Anrühren von Gallseifenlauge. Nichts an ihm erinnert an den schönen Abend, an dem er gekauft wurde. Dieses Gefäß kann all die großen Gefühle einfach nicht fassen.
Dieser Blick in die Gesichter der anderen, die dasselbe singen, das Gleiche lieben und zumindest etwas Ähnliches fühlen. Eine Gruppe von Verschworenen. Ich war mal auf einem Konzert von Herbert Grönemeyer, auf dem ein Mann zwei Reihen hinter mir eine Frau zwei Plätze neben mir am Arm fasste und ermahnte, sie möge nicht so peinlich herumzappeln, er sehe nichts. Mit dem Ergebnis, dass die ganze Reihe aufstand und tanzte. Diese Solidarität darf man in der Bahn oder auf der Straße nicht erwarten. Aber auf dem Konzert fühlte sich eine Gemeinschaft zuständig für das, was im Rahmen »ihres« Settings abläuft. Und es ist genau das, was man spürt. Unter Gleichgesinnten zu sein.
Manchmal ist dieses Zusammensein nicht nur schön, sondern politisch. Auch so etwas wie ein Bekenntnis all ihrer Besucherinnen und Besucher zu einer Idee. Für Frieden, für Anarchie, gegen Rechts oder auch dafür, für die Liebe, für die amerikanische Idee, für Stuttgart, für Bochum, für Erfurt. Manchmal sind sie ein Selbstheilungsort.
Es kann nicht nur an Taylor Swifts Liedern liegen, dass so viele Mädchen und Frauen sie live sehen wollen. Ihre Konzerte sind eher eine verschwörerische Zusammenkunft mit Livemusik als ein frontales Künstlerinnenerlebnis. Sie versprechen einen sicheren Ort, wo junge Frauen mal so sein dürfen, wie sie wollen, und von allen Anwesenden unkommentiert so angenommen werden: laut, verwundet, traurig, sauer, stark, ob nun halbnackt oder verhüllt. Eine Erfahrung, die ganz offensichtlich in starkem Kontrast zu ihrem Alltag steht. Und dass diese gelebte Idee sofort von Islamisten als Terrorziel markiert wurde, bestätigt nur noch mal ihren unerhörten Charakter. Klingt irrsinnig, von einer Utopieerfahrung einen Plastikbecher zu behalten, oder?
Ich erinnere mich noch sehr lebhaft an ein Konzert vor Jahren. Es spielte eine Band aus Großbritannien, voll, eng, wenig Licht, alles irgendwie nur schwarz und weiß und Blitze. Ich habe, wenn es hochkommt, dreimal zur Bühne geguckt, drei Liedzeilen mitgesungen, drei Schlucke Bier genommen. Ich habe das Konzert komplett durchgeknutscht. Einfach ohne Ende. Nach der letzten Zugabe kam eine Frau zu mir und dem Mann, den ich umschlungen hielt. Sie strahlte uns an: Wie wunderbar die Liebe doch sei. Sie sagte uns eine glückliche Zukunft voraus. Es kam anders. Vielleicht war es auch ein Fehler, das akute Glück so kurzatmig mit dem großen, breiten Übermorgen verknüpfen zu wollen. Man kann die Gefühle eines Konzerts eben nicht mit nach Hause nehmen. Schon gar nicht in einem Becher.