Ich trainiere seit Neuestem. Nicht meinen Körper, sondern das Trinken. Nein, kein »Bier-formte-diesen-wunderschönen-Körper«-Trinktraining. Ich trinke einfach zu wenig Wasser. Ich vergesse es. Deshalb probiere ich eine App aus, die mich erinnern soll. Anfangs fand ich das auch albern, ich verbringe so schon viel Zeit am Handy, jetzt soll mir das blöde Ding auch noch sagen, dass ich nicht austrocknen soll?
Die Trink-App ist ganz süß gemacht. Zuerst gebe ich an, wie sportlich aktiv ich bin, wie viel ich wiege und wie viel ich normalerweise trinke. Dann darf ich mir eine Pflanze aussuchen. Indem ich mich wässere, wässere ich auch die Pflanze. Zur Auswahl stehen diverse Zimmerpflanzen mit Kugelaugen und kurzen Ärmchen. Ich nehme einen Kaktus, da sein Wasserkonsum etwa meinem gleicht, und nenne ihn Detlef, nach einem bekannten Fitnesstrainer, der genauso kahl und stachelig ist.
Tag 1. Ich wache auf und finde gleich eine Nachricht von Detlef: Deine Pflanze ist durstig! Als ich die App öffne, gähnt er und sieht aus, als hätte er sich mit den anderen Pflanzen die ganze Nacht Dünger reingeknallt. Ist ja gut. Ich trinke und tippe auf einen Button, der Detlef wässert. Lustige Musik. »Dein erstes Glas Wasser heute! Vergiss nicht, regelmäßig zu trinken, um deine Pflanze gesund zu halten.« Detlef kennt mich, der alte Fuchs. Zimmerpflanzen sind meine Schwäche. Ich kann sie nicht im Stich lassen. Bin sogar mal in einen Müllcontainer geklettert, weil eine Exfreundin eine vermeintlich totgeglaubte Calathea weggeschmissen hatte. Und Detlef werde ich auch nicht enttäuschen! Noch elf Gläser.
Tag 2. Musste früh zum Zug. Habe alle Pflanzen gegossen, nur um in der U-Bahn zu bemerken, dass ich eine vergessen habe: mich. Detlef hat mir schon ein paar Nachrichten geschickt. Ahne Schlimmes, als ich die App öffne, und tatsächlich: Detlef ist braun angelaufen und schaut wie ich, wenn ich eine Bilanz meines bisherigen Lebens ziehe. Trinke schnell aus der Thermoskanne etwas Tee, nur um zu bemerken, dass das verdammte Teil sehr gut isoliert. Zunge verbrannt. Bemerke einen muskulösen Mann schräg vor mir. Eine Trinkflasche steht vor ihm, darauf ein Trainingsplan gedruckt. 8 Uhr: Fang an! 9 Uhr: Denk an dich! 10 Uhr: Trink weiter! 11 Uhr: Nicht aufgeben! 12 Uhr: Gut gemacht! Und ganz unten: Nachfüllen! So stelle ich mir Detlef vor, den echten Detlef: motivierend, unbarmherzig, eine Hydrationsmaschine.
Tag 3. Detlef will, dass ich zwölf Gläser am Tag trinke. Das sind fast drei Liter. Zwei Liter, die lange der Maßstab waren, find ich ja schon schwierig. Oft vergesse ich auch einfach, Detlef Bescheid zu sagen, wenn ich trinke. Man kann es ihm eh nicht recht machen. Trinke ich zu wenig, ist es schlecht, trinke ich zu viel, ist es auch schlecht. Und dann lese ich, dass Wassertrinken nicht mal richtig hydriert, sondern es auf zusätzliche Mineralien ankommt, na, was sagst du jetzt Detlef?! Sollte vielleicht doch auf Alkohol umsteigen.
Tag 4: So sehr ich es probiere, Detlef kriegt den Hals nicht voll. Dass er das für mein Wohlbefinden macht, hat er längst vergessen. Er quäkt und mault wie eine Diva: Wääässserrrr mich!!! Ich trinke genüsslich einen Espresso.
Tag 5: Fürchte mich vor Detlefs Rache. Habe die App seit Stunden nicht geöffnet. Höre trotzdem das Ploppen des Wassers. Ist es Halluzination oder schon Tinnitus? Verstecke mich auf der Toilette. Verbringe hier sowieso viel Zeit, seit mein Wasserkonsum die Niagarafälle in den Schatten stellt. Die Blase ist stark, aber der Wille schwach. Die Freundin klopft gegen die Tür, sie muss auch mal. Sage, dass es noch dauert. Sie kann ja in die Büsche. Ich kenne da einen sehr durstigen Kaktus.