Die Limo in der Hinterhand

Woran erkennt man einen guten Kellner? Er weiß, was der Gast braucht, wenn der es mal nicht selbst weiß. Unser Autor über die große Kunst der richtigen Bewirtung – und das perfekte Getränk für einen Dienstagabend.

Foto: Erli Grünzweil

Da hockt man in einer Bar, denkt an früher oder an gar nichts – und erschrickt, weil plötzlich ein livrierter Mensch neben einem steht und höflich, aber bestimmt fragt, was er einem bringen darf. Panisch geht man im Geiste die Liste der Getränke durch, die man sonst so an einem Dienstagabend bestellt, ohne dass es was zu feiern gibt, ein Bierchen, einen Gin Tonic, im Sommer einen Pimm’s Cup, im Winter einen Old Fashioned, aber nichts davon passt, als hätte man im Laufe des Lebens so viel davon erwischt, dass es jetzt auch mal reicht. Manchmal werde ich ganz nervös, aber keine Chance, mir fällt nichts ein. Es ist der Moment, in dem sich entscheidet, ob das Gegenüber den richtigen Beruf ergriffen hat: Ein mieser Kellner drängelt, wird ungeduldig, setzt einen unter Druck. Ein mittelmäßiger reagiert diplomatisch: »Lassen Sie sich ruhig Zeit, ich komme in fünf Minuten noch mal vorbei.« Ein Profi lächelt geheimnisvoll und sagt: »Moment, ich hab was für dich!«

»Also, das ist eine Lynchburg Lemonade«, sagte mein Lieblingskellner neulich triumphierend an einem Spätsommerabend und drückte mir einen goldgelben Drink in die Hand, der schon beim Anschauen meine Stimmung hob. Und ich dachte noch: Limonade? Na ja, das nächste Mal nehme ich die Sache wieder selbst in die Hand. Aber da war es schon zu spät, da nahm ich schon einen tastenden Schluck und dann noch einen und noch einen, das Zeug schmeckte grandios, erfrischend und fruchtig, schon nach Limonade, aber da war noch etwas anderes, etwas Scharfes. »Schmeckst du den Whiskey?«, fragte er, als hätte er meine Gedanken erraten. Er kam jetzt richtig in Fahrt, blieb stehen und referierte aus der Hüfte die Historie des Drinks. Also, warum Lemonade? Und warum Lynchburg?

»Es gibt wenig Tolleres als Menschen, die ihren Beruf so lieben, dass sie richtig gut darin sind«

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Erfunden wurde die Lynchburg Lemonade 1980 von einem Barkeeper namens Tony Mason. Er mixte Jack Daniel’s mit Triple Sec, Limettensaft sowie Zitronensaft und Zitronenlimonade. Lynchburg deswegen, weil die berühmte Jack-Daniel’s-Destillerie in Lynchburg in Tennessee steht, übrigens einem Kaff mit 6000 Einwohnern. Und Lemonade, weil Lynchburg in einem sogenannten Dry County liegt. Heißt: Außerhalb der Whiskey-Destillerie, die eine Sondergenehmigung hat, darf kein Alkohol ausgeschenkt werden, das Gesetz stammt noch aus der Zeit der Prohibition. 1983 startete Jack Daniel’s eine groß angelegte Werbekampagne mit der Lynchburg Lemonade. Es kam zu einem Prozess, weil Mason meinte, die Whiskey-Firma habe ihm den Drink geklaut, um ein Riesengeschäft daraus zu machen, aber das interessierte mich gar nicht mehr so. Ich erfreute mich einfach am Wissen und am Instinkt meines Lieblingskellners, der mir etwas in Aussicht gestellt hatte, das er danach tatsächlich eingelöst hat. Davon kann man heute – Stichwort Fortschrittskoalition – wirklich nicht mehr ausgehen.

Es gibt wenig Tolleres als Menschen, die ihren Beruf so lieben, dass sie richtig gut darin sind und eine solche Leidenschaft versprühen, dass sie andere damit anstecken und immer wieder überraschen. Das kann eine Hautärztin oder Friseurin, aber auch ein Zimmermann oder Ministerpräsident sein. Mein Lieblingskellner ist so ein Mensch. Er hat immer noch einen in der Hinterhand. Er hat ein großes Herz und kennt sich aus – mit Menschen und mit Drinks. Und er geht das Risiko ein, auch mal danebenzuliegen.

Kann sein, dass er einfach nur Dusel hatte mit seiner Wahl. Aber egal. Er hat ins Schwarze getroffen. Natürlich hätte ich es nie zugegeben, wenn mir die Lynchburg Lemonade nicht geschmeckt hätte. Ich möchte nicht, dass er seinen Elan einbüßt. Auf keinen Fall soll er zum nächsten Gast sagen: »Lassen Sie sich ruhig Zeit, ich komme in fünf Minuten noch mal.«