Wann immer ich irgendwo auf der Welt in einer Bar saß, habe ich die Barkeeper bewundert: ihre Eleganz, ihre Präzision, die flinken Bewegungen, die nie gehetzt wirken. Was sind diese Menschen: Handwerker? Künstler? Oder beides auf einmal? Einerseits müssen sie verlässlich und belastbar sein, andererseits originell und kreativ, schon offen, aber auch diskret, freundlich, aber nie anbiedernd. »Der Barkeeper ist der Aristokrat der Arbeiterklasse«, heißt es im Film Cocktail von 1988. Ein Malocher, aber einer, der von einem Geheimnis umgeben ist, einer Poesie.
Ich bin mit Luisa Fritsche vom »Gin House« in Dresden verabredet, einer kleinen, eleganten Bar in der Altstadt. Seit sie vor wenigen Wochen zur »World Class Bartenderin of the Year« für Deutschland gekürt wurde, ist sie so etwas wie die Königin unter den Aristokraten, Anfang September wird sie nach Shanghai reisen, um – »unwahrscheinlich, aber ich werde es versuchen« – die beste Barkeeperin der Welt zu werden. Und wer jetzt denkt, Luisa Fritsche sei ein alter Hase, dreißig Jahre im Geschäft, der täuscht sich. Sie ist gerade mal 26, aber so begeistert, ja besessen von der Kunst des Cocktail-Mixens und -Kreierens, dass sie nichts essen kann, ohne gleichzeitig darüber nachzudenken, welche Zutat man in einem Drink verarbeiten könnte. Auf ihren Armen sind vier Tattoos: eine Erdnuss, ein Weinglas, eine Cocktailschale und eine Destille. Letztere ließ sie sich stechen, nachdem sie im Worldclass-Wettbewerb Szechuanpfeffer destilliert hatte, um einen Drink zu verfeinern. Ihre Ausbildung hat sie im »Taschenbergpalais Kempinski« durchlaufen, und nachdem ein Gast ihren Finger genommen und in seinen Tee gesteckt habe, um ihr zu zeigen, dass er nicht heiß genug sei, habe sie gewusst: Frühstücksservice ist es eher nicht. Es war dann die Bar.
Wir plaudern zwei Stunden lang, ab und zu kommt ein Drink, manche hat sie erfunden, zum Beispiel den Low & Dirty, einen Cocktail aus alkoholfreiem Wermut und Olivenlake, serviert in einem eigens dafür gestalteten Fläschchen – »alkoholfreie Drinks müssen nicht nach drei Fruchtsäften schmecken«. Ihr Vater, ein Doktor der Ingenieurwissenschaften, war nicht begeistert, als sich der Berufswunsch seiner Tochter herauskristallisierte, inzwischen hat er verstanden, dass ihre Rezepte fast so komplex sind wie seine Gleichungen. Luisa Fritsche mag beides: die verheißungsvolle Atmosphäre einer guten Bar, ein paar Menschen, spärliches Licht, leise Musik, aber auch die technisch-künstlerische Seite ihres Berufs, für ihre Kreationen wildert sie in den Naturwissenschaften, im Moment tüftelt sie an einer Brausetablette, in der hausgemachte Essenzen konserviert und rund um die Welt zugänglich gemacht werden können, da experimentiert sie mit Natron und Glycerin.
Sie erzählt von Verjus (Saft aus unreifen Trauben), Zuckerrübensirup, Zentrifugen, Passiertüchern, spricht von »infusionieren«, »filtrieren« und »lakto-fermentieren«, serviert zum Abschluss einen Monty’s 3 aus »Monkey 47«-Gin, selbst gemachtem Kombucha und Rosé-Wermut – »ohne Säure, erfrischend, perfekt für einen warmen Sommerabend«.
Ihre Traumbar? »In einer Stadt, in einem Viertel, wo man die Nachbarschaft kennt.« Was für Menschen? »Egal. Alle, die Bock haben. Nur offen für neue Drinks sollten sie sein.« Was sie in der Bar über Menschen gelernt hat? »Die Lautesten sind die Unsichersten.«
Es ist bezaubernd mitanzusehen, wenn Menschen etwas gefunden haben, das sie so in den Bann zieht, dass ihre Augen nicht mehr aufhören zu leuchten. Etwas, das sich nie abnutzt. Oder wie es bei Eichendorff heißt: »Wo ein Begeisterter steht, ist der Gipfel der Welt.«