Ein Montag im August, wir befinden uns im Kommentarbereich von Sidos Facebook-Seite. Sido hat eine neue Single, »Astronaut« heißt sie und ist aus dem Stand auf Platz Eins der Charts gelandet. Es ist Sidos erster Nummer-Eins-Hit. Was man ja irgendwie kaum glaubt – der Mann ist seit elf Jahren im Geschäft und sitzt fast genauso lang in Popstar-Jurys, Talkshows und WM-Woks. Aber erst jetzt, zum ersten Mal, die große Eins. Frage: Warum jetzt? Frage zwei: Warum schimpfen die Fans?
Die Antwort auf beide Fragen ist der Mann, der den Refrain singt: Andreas Bourani. Das ist der, der letzten Sommer vor und während und nach jeder WM-Übertragung der ARD »Ein Hoch auf uns« in die Wohnzimmer und Fanmeilen der Republik schmetterte. Bourani wurde über Nacht zum Hofbarden Deutschlands, was unter anderem daran liegt, dass seine Musik immer so klingt, als würde er sie auf einer Klippe in einem Gemälde von Caspar David Friedrich aufnehmen: feierlich, gerührt und seltsam staatstragend.
Sido - Astronaut (feat. Andreas Bourani)
Der Refrain von »Astronaut« ist ein Bourani in Reinform: »Ich heb ab, nichts hält mich am Boden / Alles blass und grau / Bin zu lange nicht geflogen / Wie ein Astronaut«. Man hört das und denkt die geballte Faust und die zitternde Unterlippe automatisch mit. Schon wieder ein Lied, wie gemacht für die Bühne am Brandenburger Tor.
Was erst mal gut ist für Sido: Der muss nur noch ein paar sozialkritisch klingende Phrasen drumherum rappen (»Ertränken Sorgen und Probleme in ‘nem Becher voll Wein / Mit einem Lächeln aus Stein, uns fällt nichts Besseres ein«), schon wird ein Schuh draus, in den die meisten Deutschen sehr begeistert reinschlüpfen. Hurra, WM-Nostalgie feat. diffuse Krisenlyrik!
Das Muster, dem Sido und Bourani hier folgen – handwarmer Rap kombiniert mit geschmeidigem Soul-Refrain – hat sich im Frühsommer schon bewährt: »See You Again« von Wiz Khalifa und Charlie Puth stand wochenlang auf der Eins. Diejenigen von Sidos Fans, die immer noch denken, er mache Straßenrap, finden das nun erwartbarerweise doof. Das bisschen Imageverlust nimmt Sido für Platz eins aber in Kauf. Für Bourani wiederum, der ja immer noch relativ neu im Geschäft ist, poliert die Zusammenarbeit das etwas biedere Image: die Fans auf seiner Facebook-Seite sind einhellig begeistert über die Kollaboration mit dem Rapper.
Was Sidos wütende Fans offenbar vergessen: Er hat das gleiche schon bei seinem letzten Album probiert, der Song »Einer dieser Steine« war fast baugleich mit »Astronaut«. Reichte damals aber nicht für Platz Eins. Vielleicht, weil der damalige Refrainsänger Mark Forster zu unbekannt war. Der National-Bourani ist da natürlich der nächste logische Schritt - noch mehr auf Nummer sicher hätte Sido eigentlich nur gehen können, wenn er Helene Fischer engagiert hätte. Immerhin, das bleibt uns nun vermutlich erspart.
Foto: Murat Aslan / Universal Music
Erinnert an: letzten Sommer
Wer kauft das? Menschen, die DFB-Trikots beim Grillen tragen.
Was dem Song gut tun würde: Zwei, drei, oder wenigstens EINE (klitzekleine) Überraschung!
Foto: Murat Aslan / Universal Music