Unser Grafiker Jonas Natterer ist auf eine Website mit Musik gestoßen, die nicht nur ausgesprochen lustig ist, sondern ihm auch seine Arbeit erleichtert. Er ist so begeistert davon, dass wir ihm unsere dieswöchige Chartskolumne überlassen haben.
Den ersten Schweißausbruch meines Lebens bekam ich auf die Frage: »Jonas, bitte zähle die Seitentäler des Lechtals auf«. Ich war ursprünglich mal an der Münchener Waldorf-Schule gewesen, dann zogen meine Eltern nach Tirol, plötzlich saß ich im Bundesrealgymnasium Reutte und sollte in allen Fächern eine Einstufungsprüfung machen. Dabei wurde besonderer Wert auf die nähere Tiroler Landschaft gelegt, mein Lehrer war schließlich ein passionierter Jäger. An einen Geografie-Unterricht in München konnte ich mich nicht erinnern. Es lief nicht besonders gut, aber ich kam durch.
Danach schummelte ich mich jahrelang durch das Gymnasium und bemalte während des Unterrichts den Schulatlas mit brutalen Szenen von Tiroler Freiheitskämpfern. Es ging alles irgendwie, ich bestand die Matura, so heißt das Abitur in Österreich. Danach sollte ich einen Studienplatz in Mainz antreten. Mainz. Ich war mir sicher, dass das irgendwo in Ostdeutschland liegt. Mein Irrtum klärte sich auf – aber tatsächlich erst, als ich schon das zweite Mal hinfuhr. Auch in Mainz kam ich ohne Geografie-Kenntnisse einigermaßen durch. Ich hatte ja hingefunden. Und von Mainz wieder wegzufinden, war kein Problem.
Heute ist es beim SZ-Magazin unter anderem meine Aufgabe, für Reportagen und Reisegeschichten kleine Landkarten zu zeichnen. Der Leser soll sich ja orientieren können. Und ganz ehrlich, das ist der beste Geografie-Unterricht, den ich bisher hatte: Ich segle an meinem Schreibtisch mit einem Redakteur um kleine Inseln im süchinesischen Meer, ich durchquere vor dem Computer mit einer Fotografin den Dschungel im Kongo oder scrolle mich zu blauen Felsen in Marokko. Herrlich eigentlich. Aber auch oft frustrierend, da ich oft nicht mehr habe als ein paar Google-Maps-Vorlagen. Aber ich will mich nicht beklagen, ich komme schon durch. Ging ja in Reutte auch. Und sogar in Mainz.
Gestern aber eröffnete sich für mich eine völlig neue Lernerfahrung: Länder, die sich selbst vorstellen. Bei YouTube gibt es einen Kanal namens »Kids Learning Tube«, darauf sind unzählige Geografie-Sing-Videos versammelt. Da stellt eine animierte Karte der Russischen Föderation ihre Landesteile selbst vor. Im nächsten Film lerne ich, dass Rheinland-Pfalz auf englisch Rhineland Palatinate heißt. Quietschende Stimmen singen mit schwerem amerikanischem Akzent die Provinzen Frankreichs vor. Und sogar das Sonnensystem gibt es als Lied mit kleinen Animationen.
Dass wir uns nicht falsch verstehen: Die Lieder und Videos sind kein ernsthaftes Lernmaterial. Es sind Parodien. Die Inhalte sind zum größten Teil korrekt, sieht man von einigen Schreibfehlern ab – aber die Musik klingt wie ein Haufen billiger Handy-Klingeltöne, der Gesang erinnert an bekiffte Schlümpfe, das Ganze wäre nie im Leben im Unterricht einsetzbar, eher schon in einer Berliner Kellerbar zur Afterhour-Party um neun Uhr morgens. Aber genau das macht die Lieder der »Kids Learning Tube« für mich, der ich Eurodance und Italo-Disco immer geliebt habe, himmlisch. Und sie klingen allemal besser als vieles, was meine Kinder so auflegen. Mal sehen, wie die sich später im Geografie-Unterricht schlagen. Sie haben ja jetzt die beste Vorbereitung der Welt.