Barack Obama ist nur noch wenige Wochen im Amt, er lockert zurzeit auf sehr unterhaltsame Weise die Zügel, tritt in Talkshows auf, gibt witzige Interviews – und singt öffentlich, beherzter denn je zuvor. Vor wenigen Tagen erst wieder, als der neue Weihnachtsbaum vor dem Weißen Haus erstrahlte:
Obama sang lauthals »Jingle Bells«, und zum ersten Mal war es ihm ein bisschen egal, ob er dabei cool genug rüberkommt oder nicht. Mit ihm verschwindet aus dem Weißen Haus eine besondere Lässigkeit, die viel mit Musik zu tun hat. Obama ist Jahrgang 1961, ein Kind des Pop-Zeitalters – und der mit Abstand Pop-affinste Mann, der das Amt bis jetzt inne hatte. Der künftige Präsident Donald Trump interessiert sich, soweit man weiß, einen Scheiß für Musik. Zwischentöne sind nicht sein Ding, am ehesten würde zu ihm Heavy Metal-Polka passen (wenn es das Genre gäbe). Obama aber hat in seinen acht Jahren immer wieder gezeigt, dass er was von Musik versteht. Und er hat – anders als gerade bei der fröhlichen Weihnachtsbaumfeier – stets die perfekte Beiläufigkeit gefunden, wenn er selbst sang oder seinen Musikgeschmack unter Beweis stellte. Zum langsamen Ausklang der Obama-Ära eine kleine Hitliste seiner größten musikalischen Auftritte:
1. Obama singt Al Green
Im Januar 2012 hält der Präsident eine Rede bei einer Veranstaltung, direkt vor ihm spricht Al Green. Der war einst ein berühmter Soulsänger, hat aber der Popmusik vor vielen Jahren abgeschworen und arbeitet heute als Prediger. Obama dankt dem legendären Mann, das Publikum applaudiert, und dann deutet Obama in ein paar leisen Tönen Greens größten Hit an, »Let's Stay Together«. Und er macht das so gut, erst ein langgezogenes »I«, Applaus, dann ein kurzer Anreißer der folgenden Zeile, noch mehr Applaus, den Rest kann er mit einem freundlichen Lächeln im Jubel der Zuschauer untergehen lassen. Und jeder im Publikum ist sicher: Er hätte das ganze Lied drauf gehabt. Groß!
2. Obama Slow Jams The News
Ein Klassiker, immer wieder: Obama zu Gast in Jimmy Fallons Tonight Show, sie haben das öfter gemacht – The Roots spielen einen sehr langsamen, cremigen R'n'B-Groove, Obama erzählt dazu, was ihm politisch gerade wichtig ist. Eingebettet in den Sound klingt er plötzlich wie eine schlankere Ausgabe von Barry White. Und er weiß genau, dass er auf diese Weise viel, viel mehr Menschen vor dem Fernseher erreicht, als wenn er dasselbe in einer Rede erzählen würde.
3. Obamas Summer Playlist
Ob das wirklich Stücke sind, die er sich selbst zusammengesucht hat? Oder ob es eine Idee seiner Berater war? Völlig egal. Ein Präsident, der Spotify nutzt und dabei auch noch ziemlich geschmackssicher die richtigen Songs wählt, liegt so oder so goldrichtig. Obama hat jedes Jahr seine Sommerhits zusammengestellt - und dabei so passgenau Klassiker und neuere Nischentipps kombiniert, dass man zumindest annehmen darf, der eine oder andere Namen könnte von seinen Töchter gekommen sein. Und dass er Leute wie Kendrick Lamar nicht nur erwähnt hat, um Punkte zu sammeln, wurde spätestens klar, als er den Rapper im Weißen Haus empfing.
4. Obama singt »Sweet Home Chicago«
Klar, ab und zu singen Politiker bei Feiern von Heimatvereinen. Und manchmal grölen sie dann auch Hymnen der Stadt, aus der sie kommen. »Viva Colonia«, »Das ist die Berliner Luft«. Aber wenn ein Politiker aus der Blues-Stadt Chicago stammt und B.B.King, Mick Jagger, Gladys Knight und haufenweise weitere Stars in seinem Haus zur Party versammelt (und das auch noch das Weiße Haus ist), dann ist das, was will man machen, eben eine Spur cooler. Und wieder weiß Obama genau, wieviel er andeuten muss, um so zu wirken, als hätte er selbstverständlich das ganze Lied drauf.
5. Obama singt »Amazing Grace«
Bei der Beerdigung des Senators Clementa Pinckney hielt Obama eine Rede. Er erwähnt »Amazing Grace«, macht dann eine lange Pause. Eine sehr, sehr lange Pause. Die hinter ihm sitzenden methodistischen Geistlichen blicken versonnen zu Boden. In Obamas Gesicht ist erkennbar, dass er nach etwas sucht. Das ist aber nicht der nächste Satz, er versucht vielmehr, all seinen Mut zusammenzunehmen. Und dann traut er sich, singt »Amaaaaazing Graaaace«, und hinter ihm fallen die alten Männer in ihren Talaren fast vom Stuhl vor Begeisterung. Alle erheben sich umgehend, stimmen ein, die Kirchenband begleitet, der ganze Saal singt, ein einziges großes Gospelfest. Und mittendrin der Präsident, nicht völlig tonsicher, ganz egal, er singt beherzt und hat die Menschen auf seiner Seite. Nicht durch Agitation, nicht nur durch Tiraden, nicht durch politische Slogans. Einfach nur, indem er einen großen emotionalen Moment erzeugt. Schön.
Foto: dpa