Eigentlich war es nicht schlimm, dass sie Lenz gefeuert hatten. Er hatte zweimal die Arbeit verschlafen, aber er hatte auch keine Lust mehr gehabt, am Set dieser Fernsehfilm-Produktion der Kaffeejunge und der Chauffeur zu sein. Set-Runner haben sie ihn genannt und das war ein Euphemismus für 17 Stunden Plackerei am Tag.
Immer gegen Ende der Arbeitswoche war Lenz vor Übermüdung eingeschlafen, sobald er sich nur gesetzt hatte. Dabei hatte er sich soviel versprochen. Es sollte ein Schritt Richtung Schauspielerei sein, er war ja schon früher vor der Kamera gestanden, kleinere Rollen hier und da. Auf die Party nach Drehschluss hatte ihn das Filmteam trotzdem eingeladen. Und so fing es dann an. Während Lenz lustlos herumsteht, macht die Frau von der Maske Fotos und es beginnt eine Entwicklung, die Lenz zunächst nichts mitbekommt: Die Bilder landen bei einer Scouting-Agentur, zwei Tage später erreicht ihn ein Anruf. Man wolle ihn kennenlernen. Man wolle ihn sehen. Bei den ersten Polaroid-Aufnahmen trägt Lenz lediglich Boxershorts und fühlt sich unwohl in seinem, sagt er, "nicht gerade perfekten Körper."
Dass die das Ernst meinen, denkt er.Wenig später unterschreibt er seinen ersten Vertrag. Lenz von Johnston ist nun nicht mehr Schauspieler sondern Model, zum ersten Casting begleitet ihn eine Agentin. Es geht um "Prada".Man zieht ihn an und um und aus und sagt, er solle laufen. Also läuft er. Einmal das Zimmer rauf und runter. Eine Woche später lädt man ihn nach Mailand ein. Ein paar Tage darauf fliegt man ihn nach Paris, Shooting für Vogue Homme.Lenz verfolgt das Geschehen interessiert und amüsiert. Er denkt: Das kann nicht deren Ernst sein.
Ein halbes Jahr ist vergangen. An einem Juninachmittag sitzt Lenz, 21 Jahre alt, im Weinbergspark in Berlin-Mitte. Die jungen Zugezogenen reden im Grünen von ihren Projekten, die älteren von ihren Kindern und dazwischen erzählt Lenz von Johnston, ein feingliedriger Mann mit blasser Haut, von seiner Reise. LenzEr kommt aus New York, macht nur einen Zwischenstopp und ist auf dem Weg Richtung Mailand. Die Strecke ist ihm anzusehen, 36 Stunden war er wach.
Die Sonnenbrille verdeckt Schatten unter den Augen. Schwarze Jeans, schwarzes T-Shirt, Baseballcap, seine weißen Lederschuhe sind schon ein wenig vergilbt vom vielen Reisen. Er erzählt, wie ihn Prada schließlich unter Vertrag nahm:Zwei Tage lang stimmen die Stylisten die Klamotten auf ihn ab. Vor der Show lassen sie ihn zweimal auf dem Laufsteg in Socken üben, hinter den Kulissen herrschen Aggression und Stress, aber Lenz kennt das vom Fernsehen. Ein persönlicher Anzieher versucht, ihn innerhalb von zehn Sekunden in die nächsten Klamotten zu stecken.
In eng taillierte Sakkos, in Hosen, die hoch über den Hüften enden. Seine neuen Kleider schillern und glitzern und es ist eigenartig: Bis vor wenigen Monaten machte sich Lenz kaum Gedanken über Mode. Er dachte höchstens darüber nach, was er am folgenden Tag aus seinem Kleiderschrank nehmen soll.Auf der Party nach der Schau treffen sich zwei Agentinnen. Die eine hat Lenz unter Vertrag, die andere, aus New York, ist an ihm interessiert. Model zu sein, bedeutet, fremdbestimmt zu sein.
"Wir wollen ihn haben", entscheidet die New Yorker Agentur Tage später und Lenz verlässt Berlin. Mit wenig Gepäck und wenig Lust.Aus den geplanten drei Wochen werden drei Monate. Mit Polaroids in der Hand wird er zu den Castings für die New Yorker Fashion Week geschickt und läuft schließlich elf Shows in neun Tagen. Von morgens acht Uhr bis nachts um Zwölf, mehr als das Bett bekommt er in den ersten Wochen nicht von seiner neuen Stadt zu sehen. Mit acht weiteren Laufsteg-Aspiranten wohnt er in einem Appartement, zwei Zimmer, eine Küche, vier Stockbetten. Die Miete wird ihm von seinen noch geringen Honoraren abgezogen. Er ist ein Neueinsteiger, ein sogenanntes "New Face" und wird deshalb mitunter ausgenutzt.
(Hier lesen Sie Teil 2 der Geschichte)
Foto: Dirk Merten