Fatih Akin in seinem Kiez, Hamburg-Ottensen. Hier kann er die schlechte Presse aus Venedig ausblenden.
Erst als auch noch der Strom ausfällt, will Fatih Akin nicht mehr. Er steht neben seinem Kumpel, dem Schauspieler Adam Bousdoukos, in einer gelben Holzhütte neben dem großen Zelt, unter das alle vor dem Sturm geflüchtet sind. Akin wollte endlich seine Mucke auflegen, bisschen Soul, bisschen Hip-Hop, wie immer, sie haben im Flugzeug die Lieblingssongs auf dem iPad sortiert. »Ey, Adam«, sagte Akin, »lass mal anfangen, die Ladys wollen tanzen!« Die Ladys tanzen immer, wenn er auflegt, und Fatih Akin hat noch nach jeder Premiere aufgelegt. An diesem Sonntag Ende August wurde Akins neuer Film The Cut auf dem Filmfest von Venedig vorgestellt, auf dem Lido. Es ist jetzt weit nach Mitternacht, das Wasser stürzt vom Dächlein der DJ-Hütte, die Ladys stöckeln durch den Schlamm. »Because Im happy. Clap along if you feel like a room without« – bzzzzzt. Plötzlich ist es dunkel, nur noch das Prasseln ist zu hören und das Donnern und das Ooohhhh der Ladys. Fatih Akin schleudert sein iPad auf das DJ-Pult und rennt in den Regen, als könnte er weit kommen auf dieser schmalen Insel. »Nichts funktioniert mehr«, brüllt er, »nichts!«
Akin hat sich zwölf Stunden zusammengerissen. Aber jetzt ist die Nacht ein noch größeres Desaster geworden als der Tag, den Fatih Akin feiern wollte. The Cut ist Akins erster Spielfilm seit fünf Jahren. Nicht nur deswegen war er ungeduldig erwartet worden, auch wegen des brisanten Stoffs: The Cut erzählt vom Genozid an den Armeniern im Ersten Weltkrieg – den in der Türkei, dem Land, aus dem Akins Eltern stammen, noch heute kaum jemand Genozid nennen will.
Eigentlich hatte Akin das Leben von Hrant Dink verfilmen wollen, jenem armenisch-türkischen Journalisten, der sich für die Aufarbeitung des Völkermords einsetzte und im Januar 2007 in Istanbul von einem Rechtsextremen erschossen wurde. Kurz nach der Tat, im Sommer 2007, reiste Akin nach Camburnu, in das Heimatdorf seiner Großeltern an der türkischen Schwarzmeerküste. Er dokumentierte dort den Bau einer gigantischen Mülldeponie, einen Umweltskandal, von dem sein Film Müll im Garten Eden handelt. Akin war auch in der Türkei längst ein Star, als Gewinner des Goldenen Bären für Gegen die Wand drei Jahr zuvor, und für Auf der anderen Seite war er gerade in Cannes ausgezeichnet worden.
Wenn Akins Filmteam über die Teefelder rund um die Müllhalde schritt, applaudierten die Pflückerinnen. Der Junge aus Hamburg-Altona war nach Hause gekommen, jedenfalls in seine Urlaubsheimat, um für ihre Rechte zu kämpfen. Der türkische Umweltminister ließ Akin damals aus seinem Ministerium werfen. Eines Abends saß Akin in Camburnu auf der Terrasse, und der Bürgermeister sagte: »Fatih, du bist ein Volksheld, kein Staatsheld!« Das gefiel Akin, er war berauscht von seiner neuen Rolle und den vielen Joints und dachte wieder an Hrant Dink: »Vielleicht muss jetzt ein Deutschtürke kommen, der in Deutschland gelernt hat, wie man mit dunkler Geschichte umgeht, um zu helfen, das türkische und armenische Trauma zu bewältigen.« Aber Akin fand keinen türkischen Schauspieler, der Dinks Rolle übernehmen wollte, Freunde rieten ihm von dem Vorhaben ab. »Die Türkei war noch nicht bereit«, sagt Akin heute.
In Camburnu äußerte er einen zweiten Traum: Einen richtigen Western wollte er drehen, er dachte an Sergio Leone, die Filme seiner Jugend, er war in den Monaten zuvor durch die USA gereist. Jetzt, sieben Jahre später, vereint The Cut beide Träume: Es ist ein Western vor dem Hintergrund des Genozids. Nazaret, ein junger Armenier überlebt schwer verwundet und verstummt das Massaker und macht sich auf die lange Suche nach seinen verschollenen Zwillingstöchtern, über Syrien, Kuba, bis nach Nordamerika.
Auf eben diese Route hatte sich Akin gemeinsam mit seiner langjährigen persönlichen Assistentin Nurhan Sekerci zunächst gemacht, auf der Suche nach einem Drehbuch für seinen Traum. The Cut ist Sekercis erste Arbeit als Produzentin. Akin las unterwegs jedes Dokument über den Genozid, traf Historiker, Nachfahren. Selbst sein letzter Spielfilm Soul Kitchen, diese ziemlich erfolgreiche Komödie über Hamburg und die Freundschaft, diente auch der Finanzierung dieses Projekts, das unter dem Sternenhimmel von Camburnu seinen Anfang genommen hatte und mit jedem Jahr gewaltiger wurde.
Akin trennte sich von seinem Geschäftspartner Klaus Maeck, gründete mit seiner Frau Monique für The Cut eine eigene Produktionsfirma, Bombero International. Für den Film wurden insgesamt 15 Millionen Euro eingesammelt, von Geldgebern aus acht Ländern. »Uns kann wirklich nichts mehr schocken«, sagt Akin, »für Gegen die Wand hatten wir noch zweieinhalb Millionen. Wir mussten lernen, größer zu denken.« Wegen des Kriegs in Syrien mussten sie für die Schlüsselszenen in die Wüste von Jordanien ausweichen. Auch dort war es gefährlich, einmal geriet Akin mit seinem Jeep in eine Stammesfehde, er blieb immer cool, das Team nannte ihn spaßeshalber »Wüstenfuchs«.
Um zu erklären, warum der Premierentag in Venedig für Fatih Akin so schmerzhaft wird, muss man das wissen: wie lange er auf diesen Tag hingearbeitet hat.
»Ich habe die besten Jahre meines Lebens mit diesem Film verbracht«, sagt Akin. Er ist 41 Jahre alt, er kifft schon lange nicht mehr, er ist schmaler geworden, leiser. Sein Sohn feiert in Venedig seinen neunten Geburtstag, die Tochter ist zwei Jahre alt. Und doch: Dass The Cut überhaupt in Venedig Premiere feiert, liegt daran, dass Akin in mancher Hinsicht ganz der Alte geblieben ist. Er sagt es so: »Ich werde die Straße nicht so richtig los.«
Eigentlich sollte The Cut beim Filmfest im Cannes debütieren. Aber das Feedback von dort nach der Einreichung des Films lautete: Die Jury ist sich uneins. Die Chancen, dass der Film ins Hauptprogramm genommen wird: 50 : 50. Festivalleiter Thierry Frémaux ließ Akin wissen, er glaube, der Film sei noch nicht fertig. »Das war eine Prügeleisituation«, sagt Fatih Akin. »Und wenn ich eines gelernt habe in der Gang oder auch als Hobbyboxer, dann: Wenn du verprügelt wirst und keine Chance hast zu gewinnen, versuche wenigstens einen Treffer zu landen.«
Er reichte The Cut auch in Venedig ein. Das ist nicht ungewöhnlich. Aber als er aus Venedig hörte, man sei begeistert, da tat Fatih Akin etwas, das nicht im Protokoll vorgesehen ist: Er zog The Cut in Cannes zurück. Und begründete diesen Schritt mit »persönlichen Gründen«. Manche warnten ihn: »Persönliche Gründe«, das wird Fragen aufwerfen, wäre es nicht besser, gar nichts zu sagen? »Aber in solchen Momenten«, sagt Akin, »höre ich nur auf mich. Ich sollte vielleicht häufiger die Fresse halten.«
So war bereits im Vorfeld von Venedig zu hören, mit Akins neuem Film müsse es irgendwelche Probleme geben. Und dann vermeldeten auch noch türkische Nationalisten auf Twitter: »Wir beobachten das mit unseren weißen Mützen.« Eine weiße Mütze trug der Junge, der Hrant Dink erschoss.
»Ey, guck mal, Alter, ich komme vom Hip-Hop, Englisch verbindet die Welt!«
Fatih Akin ist schmaler geworden in den vergangenen Jahren - und leiser.
Fatih Akin wurde nach Venedig nicht nur von vielen Erwartungen und Gerüchten begleitet, sondern auch von der wohl größten Entourage in der Geschichte des Filmfestivals. Eine Gruppe von bis zu achtzig Leuten folgt ihm durch die engen Gassen und Gänge: natürlich der The Cut-Hauptdarsteller Tahar Rahim, fast alle anderen Schauspieler, die Crew, Schauspieler aus früheren Filmen, Freunde wie Shermin Langhoff, die Intendantin des Berliner Maxim-Gorki-Theaters, eine Babysitterin, Akins Eltern. »Das ist meine Family«, sagt Akin, »ohne all diese Menschen gäbe es den Film nicht.« Aber am Mittag, auf dem Weg zur Pressekonferenz durch die Katakomben des Palazzo del Casino, ist bereits klar, dass diese Menschen heute auch ein Schutzschild für Fatih Akin bilden werden. Es spricht sich herum, dass The Cut in der Pressevorführung am Morgen ausgebuht wurde. Akins Presseagentin sagt, sie habe nie zuvor so viel widersprüchliches und ratloses Feedback von Journalisten bekommen.
Sie ahnt nichts Gutes.
Akin betritt die Pressebühne in bester Akin-Manier, er bleibt dort oben stehen und ruft in den Saal, als würde er einen Boxer in den Ring bitten: »Please make some noise for my man Mardik Martin!«
Eine kleine, gebückte Person stemmt einen Rollator auf die Empore. Mardik Martin, der aus Armenien stammt, ist eine vergessene Hollywood-Legende. Er war in den Siebzigerjahren an den Drehbüchern zu den frühen Meisterwerken von Martin Scorsese beteiligt, New York, New York oder Wie ein wilder Stier, genau Akins Kaliber. Danach verirrte sich Martin im Kokain. Zuletzt hatte er, 78 Jahre alt, an der Filmschule der University of Southern California unterrichtet. Und als Fatih Akin nicht weiter wusste mit seinem Drehbuch über die armenische Tragödie, weil er viel zu viele Szenen in seinem Kopf und auf dem Papier hatte, weil er zu viel wollte und kein Ende sah, da erinnerte er sich an seinen Helden Mardik Martin, und er schrieb ihm, wie er auch einst seinem Idol Martin Scorsese einfach geschrieben hatte, der so zu einem Mentor wurde.
Mardik Martin sagte zu, mit Akin The Cut zu kürzen. Akin wohnte einige Wochen bei Martin in Studio City, Los Angeles. Danach war die 250 000 Euro teure Stuntszene weg; die Episode im Indianerreservat: gestrichen. Konzentrier dich auf deine Geschichte, sagte Martin zu Akin. Und jetzt ist er Teil der Familie.
Aber die Journalisten wollen nicht lange über dieses Comeback reden. Einer fragt, ob es nicht ein Fehler war, die Armenier im Film Englisch sprechen zu lassen, ob Akins Dialoge deswegen ihre Authentizität verloren hätten. Akin antwortet plötzlich auf Deutsch, er ruft: »Ey, guck mal, Alter, ich komme vom Hip-Hop, Englisch verbindet die Welt!«
Wenn Akin das Gefühl hat, sein Gegenüber diskutiert nicht auf seinem Niveau, kommt sie durch, die Straße.
Einer aus Akins großer Filmfamilie sagt später, auf den Stufen des »Sala Grande«, vor der offiziellen Premiere von The Cut, auf dem roten Teppich habe er sich gefühlt, als schreite er im Blitzlichtgewitter zu einer Verurteilung.
Als Fatih Akin die Empore der Ehrengäste betritt, gibt es von den Zuschauern unten fast zehn Minuten Standing Ovations. Akin ist ein europäischer Kinoheld, von Publikum und Presse verehrt für die Wucht und die Subtilität, die seine Filme immer zugleich haben, für sein gnadenloses Pathos, seine modernen Märchen. The Cut ist nun ein anderer Akin-Film, gewohnt bild- und soundtrackstark, reich an kinematografischen Anspielungen, aber er sieht eher nach Hollywood aus als nach Arthouse. Der Film hat mehr Wucht als ein Akin-Film je hatte, aber weniger Subtilität. Nach zwei Stunden und 18 Minuten wird deutlich kürzer geklatscht als zuvor, es ist der freundliche Applaus von Menschen, die gerne länger klatschen würden.
Es ist ein brutaler Applaus.
Anschließend versammelt sich Akins Filmfamilie zum Essen in einem Restaurant. Nicht nur das Donnern und Blitzen kommt immer näher, auf den Smartphones der Beisammensitzenden treffen auch die ersten Rezensionen aus aller Welt ein, es sind Einschläge: »Fatih Akin scheitert mit The Cut«, »Fatih Akins enttäuschendes Drama«, »Gänzlich unpolitisch ist dieser Film«, »Akin hat offenbar alles in diesen Film geworfen, aber die Details vergessen«. Die Kritikerin einer deutschen Tageszeitung schreibt: »Fatih Akin, dem man jeden Erfolg wünscht, braucht kein Mitleid.« Schon gelesen?, tuschelt man sich an den Tischen zu. Eine, die für einen Geldgeber von The Cut arbeitet, sagt: »Zum Glück machen wir Filme nicht für andere, sondern für uns!«
Einsam und müde sitzt Mardik Martin vor dem Fischrisotto, das ihm nicht schmeckt. Er erzählt, wie er dank Fatih Akin nach vielen Jahren wieder mit seinem Freund Martin Scorsese vereint wurde, sie sahen sich The Cut gemeinsam an. Beide waren begeistert. »Aber«, sagt Martin, »man kann nie darauf vertrauen, dass die Welt begeistert ist. Selbst ein Meister wie Martin Scorsese wurde verrissen. Vor allem für Gangs of New York, das war auch sein Herzensprojekt.« Dann lässt sich Martin ins Hotel fahren. »Ich wollte Fatih helfen, weil er ein Großer ist«, sagt er zum Abschied leise, »es wäre auch mein Versagen, wenn der Film nicht ankommt. Vielleicht ist das ein Film aus einer anderen Zeit.«
Zwei Wochen später sitzt Fatih Akin in einem Hinterhof in Hamburg-Altona und spricht sehr oft von der »Niederlage von Venedig«. Er sagt: »Ich fühlte mich wie verprügelt.« Seine Vertrauten hielten ihn davon ab, frühzeitig vom Lido abzureisen. Es sind mittlerweile auch euphorische Rezensionen erschienen, aber »etwas ist anders seitdem«, sagt Akin, »die Gegenwart ist davon auf jeden Fall getrübt.«
Akin sagt, er fühle sich wie eine Comicfigur, die mit einem riesigen Fragezeichen über dem Kopf im Kreis läuft. »Manchmal habe ich das Gefühl, manche Kritiker haben einen Film von mir erwartet, den sie schon gesehen haben. Es ist vielleicht nicht immer gern gesehen, wenn man auch mal etwas Neues probiert als Regisseur.« Er hat aufgehört, die Kritiken zu lesen. Aber natürlich ist er ins Grübeln gekommen. Hätte er den Film anders erzählen müssen? »Aber nein!«, sagt Akin und schlägt die Faust auf den Tisch. »Ich wollte genau diesen Film machen, einen erst auf den zweiten Blick politischen Film.«
An seinen Eltern, sagt Akin, sehe er, dass das funktioniere. Als die Kamera auf Nazarets Kreuz schwenkt, da seien sie erschrocken. Da hätten sie realisiert, dass sie mit einem Christen mitfiebern, dass ihre Sympathien längst dem Armenier gehören. »Und bämm!«, ruft Akin. »Das ist der Moment. Das ist mein Schmugglerprinzip. Dann habe ich sie!« Akin sagt: »Das ist ein Publikumsfilm, und er ist so, wie er ist, damit er auch in ein paar großen Kinos in der Türkei laufen kann. Wenn das klappt, haben wir nicht dafür gesorgt, dass der Genozid von der türkischen Regierung anerkannt wird, aber wir haben dafür gesorgt, dass darüber gesprochen wird.«
Fatih Akin, bisher der Liebling des deutschen Kinos, fühlt sich zum ersten Mal
ungeliebt, gekränkt, missverstanden auch. Aber das ist nicht alles. Er selbst ist es ja, der einige aufgescheuchte Menschen, die an diesem Film beteiligt waren, daran erinnert, dass man erst mal abwarten müsse, wie viele Zuschauer The Cut ab dem 16. Oktober in Deutschland sehen wollen und wie es dann Ende des Jahres in der Türkei weitergeht. »Diesen Film kann uns niemand mehr nehmen«, sagt Akin. Es sind nicht nur die schlechten Kritiken, die ihn nachdenklich gemacht haben. Er wirkt jetzt, da er diesen Film endlich losgelassen hat, vielmehr erschrocken darüber, wie lange er daran festgehalten hat, was für einen Einfluss dieser Film auf sein Leben hatte – und nun weiterhin hat.
»Man darf nicht ängstlich sein, aber man braucht auch die Angst, sie macht einen demütig.«
Für "The Cut" wollte Akin unbedingt den Franzosen Tahar Rahim (bekannt aus "Ein Prophet") für die Rolle des Nazaret (Foto: Pandora Film).
Er hört, wer dieser Tage im Freundeskreis und im Kollegenkreis plötzlich schlecht über ihn und seine Filme spricht, auch Menschen, die The Cut noch gar nicht gesehen haben. Gestern hat ihn auf der Straße ein alter Weggefährte nicht gegrüßt. »Das macht mich fertig«, sagt Akin, »dieser Film über diese Untaten scheint das Schlechteste in den Menschen hervorzurufen.«The Cut ist der Abschluss der Trilogie »Liebe – Tod – Teufel«, die mit Gegen die Wand und Auf der anderen Seite begonnen hatte. »Aber vielleicht meint diese Trilogie nicht nur die Themen der Filme«, sagt Akin, der Gedanke ist ihm vor wenigen Tagen gekommen, »sondern die Wirkung, die meine Filme haben.« Für Gegen die Wand wurde er geliebt. Als er an Auf der anderen Seite arbeitete, starb sein guter Freund und Produzent Andreas Thiel. Und nun der Hass nach dem Film über den Hass.
Aber auch mit dem Tod war Akin wieder konfrontiert. Noch bevor The Cut fertig war, starben Fabienne Vonier, seine langjährige Co-Produzentin, und dann der Co-Produzent Karl »Baumi« Baumgartner, Gründer von Pandora Film. Baumgartner war im Filmgeschäft so etwas wie ein Vater für Fatih Akin. Der Film ist beiden Verstorbenen gewidmet.
In seiner Jugend war Akin ein sehr religiöser Mensch. Jetzt, nach dem verlustreichen Weg zu The Cut, diesem Film, der auch ein Abgesang auf alle Religionen ist, hilft es ihm, dass er immer noch an etwas Größeres glaubt. Etwas Unkontrollierbares. »Ich hatte in den letzten fünf Jahren nie Angst«, sagt Akin. »Ich bin an dieses gigantische Projekt ohne jede Angst herangegangen. Vielleicht war das ein Fehler. Man darf nicht ängstlich sein, aber man braucht auch die Angst, sie macht einen demütig.«
Mit The Cut hat Fatih Akin die große weite Welt auf seine Leinwand geholt, aber in Hamburg scheint es nun, als brauche er das Zuhause, den Kiez, mehr denn je. Um die Ecke seiner Wohnung begrüßt ihn ein Wirt und fragt besorgt: »Ist schlimm gerade mit deinem neuen Film, oder?« Und aus einem Auto an der Ampel ruft ein junger Mann: »Fatih, du bist der Beste!«
Fatih Akin hätte sich in den Jahren der Arbeit an diesem großen Film über die verzweifelte Suche eines jungen Armeniers fast verloren – er war selbst auf eine verzweifelte Suche danach gegangen, wie er all diesen Stoff zu einem großen Werk machen könnte. Und doch weiß er jetzt besser als je zuvor, wer er sein will als Regisseur.
Er sagt, er wolle wieder dazu übergehen, alle zwei Jahre einen Film zu machen, im Rhythmus zu bleiben, kleine Budgets, schnell drehen. Das nächste Drehbuch, das ihm gerade hilft, vieles zu vergessen, soll schon Anfang 2015 verfilmt werden. Es spielt wieder in Deutschland. Er weiß jetzt, dass er es auch größer kann. Aber er will so einen großen Film höchstens alle zehn Jahre machen. Akin sagt: »Ich kann nicht einfach nach Hollywood gehen, ewig unterwegs sein. Meine Kinder sind mir wichtiger. Ich weiß jetzt für mich, dass ich deswegen vielleicht nie der größte Regisseur aller Zeiten werde. Aber damit kann ich leben.«
Einige Stunden später bekommt Akin einen Anruf: Die Finanzierung des neuen Films steht fast, eine weitere halbe Million Euro wurde gerade zugesagt. Als er aufgelegt hat, sagt Fatih Akin: »Diese Premierenparty in Venedig ist für mich symbolisch: Alles wird weggefegt vom Sturm! Aber als die Anlage wieder ging, haben die Leute bis zum Morgengrauen getanzt. Nur darum geht es: Zum Schluss müssen die Ladys tanzen!«
Fotos: Armin Smailovic