»Scheibendrachen«, Anna Rubin, Österreich

Foto: Rafael Kroetz
»Diesen Entwurf nenne ich Scheibendrachen. Er besteht aus Rettungsfolie, die glitzert und schimmert, und einem Skelett aus Bambus, den ich gespaltet habe. Dadurch ist die Konstruktion so zart, dass sie sich vom Wind verbiegen lässt. So wird der Drachen immer wieder neu geformt. Trotzdem fliegt er sehr stabil, sowohl bei schwachem als auch bei etwas stärkerem Wind. Ich habe einen Vorläufer des Modells ursprünglich für die Open-Air-Show Amusitra in der Freilichtbühne Ötigheim entwickelt. Es gab mehrere, vier wurden über dem Publikum geflogen, andere waren als Gestaltungselemente auf hohe Stangen montiert.«

Foto: Michael Lio
Die Klagenfurterin hat 2000 schon ihre Diplomarbeit über Flugdrachen geschrieben, seitdem ist sie hauptberuflich Drachenbauerin.
»Millestelle«, Maurizio Angeletti, Italien

Foto: Rafael Kroetz
»Ich nenne meinen Drachen ›Millestelle‹, tausend Sterne auf Italienisch. Ein Wortspiel mit Millipede, also Tausendfüßler, denn ich habe mich am klassischen chinesischen Tausendfüßler-Drachen orientiert. Das sind die, die aus einer variablen Anzahl runder Scheiben mit Auslegern und Quasten bestehen, sie werden aus Seidenpapier oder Reispapier gefertigt und können eigentlich nicht mehr auseinandergenommen werden. Manche dieser Drachen sind unglaublich lang und werden von mehreren Personen geflogen. Meinen ›Millestelle‹ dagegen kann man auch allein fliegen. Er lässt sich vollständig zusammenlegen und ist dank der verwendeten Hightech-Materialien praktisch unzerstörbar. Diese Funktionalität hat mich fasziniert, aber vielleicht ist das Schöne an Drachen andererseits gerade das Gegenteil, ganz frei und losgelöst: Fliegen um des Fliegens willen. Auf ganz eigene Weise wundersam und schön.«

Foto: Claire Angeletti
Der Italiener baut nicht nur seit mehr als drei Jahrzehnten Drachen, er ist auch Autor, Gitarrist, Sprachlehrer und forscht zur Philosophie der Sprache.
»Thrive Study (Nine West)«, Hai-Wen Lin, USA

Foto: Rafael Kroetz
»Als ich ein Kind war, ging unser Garten in ein Feld über, das groß genug war, um Drachen steigen zu lassen – das war eine prägende Erfahrung. Während meines Kunststudiums habe ich dann ernsthaft angefangen, welche zu bauen. Es war eine Möglichkeit, mich auf etwas zu konzentrieren, was mir Freude macht, wenn ich bei etwas anderem gerade nicht vorankam. Dieser Drachen hier ist aus einem Blazer und einer Hose zusammengesetzt, die ich sorgfältig in ihre Einzelteile zerschnitten habe. Mich interessiert die Herstellung von Kleidung und das Erstellen von Schnittmustern als Mittel zur Vermessung des Körpers. Auch wenn für viele nicht sofort ersichtlich ist, welche Teile mal die Ärmel oder die Rückseite des Jacketts gewesen sein könnten. Ich betrachte es als ein Experiment, bei dem Vorhandenes anders angeordnet wird, damit etwas Neues entsteht. Den Drachen habe ich ›Thrive Study (Nine West)‹ genannt.«

Foto: mit freundlicher Genehmigung des Vermont Studio Centers
Die Wurzeln von Lin liegen in Taiwan und den USA. Doch verwurzelt sind Lin sowie Lins Kunst irgendwo zwischen Erde und Himmel.
»Wirklichkite«, Kirsten Sauer, Deutschland

Foto: Rafael Kroetz
»Es begann mit Geschenken meines Opas. 1989 bekam ich zwei einfache Lenkdrachen zum Geburtstag. Beim Fliegenlassen habe ich andere Drachenflieger kennengelernt, und da ich nähen konnte, war der Schritt, selbst Drachen zu bauen, eher klein. In einem Laden in Gelsenkirchen kaufte ich Baupläne und Material und gestaltete die unterschiedlichsten Drachen. Ein symmetrischer Aufbau lässt einen Drachen besser fliegen, deshalb habe ich das Motiv so entworfen. Seit einigen Jahren gehören Planeten und Asteroiden zu meinen Hauptmotiven. Hier greift ein Astronaut oder eine Astronautin nach einem Asteroiden. Für mich ist es ein Sinnbild: Die Menschheit hat es in der Hand, Ängste selbst zu bekämpfen. Das englische Wort für Drachen ist ›kite‹. Meinen Drachen würde ich ›Wirklichkite‹ nennen.«

Foto: privat
Die Windkünstlerin hat das Handwerk der Theaterplastik an einem Opernhaus gelernt und in ihrem Leben nicht nur Drachen, sondern auch Bühnenbilder gebaut.
»Bird Man«, Oliviero Fiorenzi, Italien

Foto: Rafael Kroetz
»Tja, der ewige Traum des Menschen vom Fliegen. Man könnte diesen Drachen vielleicht ›Bird Man‹ nennen. Ich möchte einen Perspektivwechsel vermitteln: die Dinge von einem neuen Blickwinkel aus zu betrachten – eben von oben. Vielleicht wollten sie das alle, schon Ikarus, später Eilmer von Malmesbury, der im Mittelalter mit einfachen Flügeln vom Kirchturm sprang, oder Leonardo da Vinci mit seinen Studien von Flugmaschinen. Ich habe Grafikdesign studiert, deshalb setze ich auf ein extrem gut erkennbares Bild, weil ein Drachen natürlich, sobald er in der Luft ist, winzig wird. Deshalb auch die Wahl der Farben: der Hintergrund blau wie der Himmel, damit das leuchtende Rot sich deutlich abhebt. Meine Drachen baue ich nicht allein, ich arbeite mit dem wohl letzten traditionellen Drachenbauer Italiens zusammen. Wir machen das seit drei Jahren, ich lerne das Handwerk von Grund auf, aber ich sehe mich immer noch als Lehrling.«

Foto: Olimpia Taliani de Marchio
Der Künstler pendelt zwischen Ancona und Mailand. Die vorbeifliegende italienische Landschaft präge auch seine Arbeiten, sagt er.
Momotarō, Mikio Toki, Japan

Foto: Rafael Kroetz
»Als ich klein war, mochte ich die Geschichte von Momotarō. Der Legende nach schlüpfte Momotarō aus einem Pfirsich. So kam er zu seinem Namen, der im Japanischen ›Pfirsichjunge‹ bedeutet. Momotarō wurde stark und klug und erlebte viele Abenteuer. In Japan feiern manche Familien ihren Nachwuchs, indem sie Drachen bauen und mit dem Namen des Kindes beschriften. Ihn fliegen zu lassen soll die Wünsche ausdrücken, dass das Kind gesund bleibt und zu einem wunderbaren Menschen heranwächst. Mein Drachen ist Momotarō gewidmet, und auch diesem Neugeborenen wünsche ich, dass er viele Freunde findet und seine Ziele erreicht. Ich male nach traditionellen japanischen Techniken wie Ukiyo-e und Musha-e. Diese bunten Drachen gibt es seit der Edo-Periode vor 300 Jahren, sie heißen daher ›Edo-Kaku-Dako‹. Als ich in meinen Zwanzigern war, sah ich gern den alten Männern zu, wie sie ihre Edo-Kaku-Dako steigen ließen, und ich liebte ihre Geschichten. Ich erfuhr, dass die Besitzer vieler Drachenläden keine Nachfolger fanden und schließen mussten. Daher hatte ich das Gefühl, ich müsste Drachen bauen und diese Tradition für künftige Generationen erhalten, damit diese Kultur nicht in Vergessenheit gerät.«

Foto: privat
Der Japaner ist ein Meister des Edo-Drachenbaus, einer traditionellen Kunstform. Er lehrt und praktiziert sie seit mehr als fünfzig Jahren.

Der Schwarzwälder Drachen-Spezialist Heinrich Hohmann hat alle Modelle, die wir hier zeigen, zusammengebaut, gründlich getestet und für flugtauglich befunden.
Bereit zum Abflug: Diese Drachen-Unikate werden wir in wenigen Wochen zugunsten guter Zwecke verlosen. Wenn Sie über den Beginn der Aktion vorab informiert werden möchten, schreiben Sie uns: drachen@sz-magazin.de.
Protokolle: Max Fellmann, Jonas Junack, Marvin Ku, Nicola Meier.
Vielen Dank an Anja Knorr, Thomas Knorr, Rainer Failenschmid und Heinrich Hohmann.