Der Weichheit letzter Schluss

Früher hätte sich kein Mensch mit Bademantel in die Öffentlichkeit getraut. Im Zeitalter der Spas und Wellnessbereiche laufen plötzlich alle rum wie Handtuchhalter – und niemand geniert sich. Wie konnte das passieren?

Im Fahrwasser der Wellnesswelle, im Zuge der Spaisierung der Welt hat auch der Bademantel einen erstaunlichen Siegeszug angetreten. Kaum ein Hotel kommt heute noch ohne das aus, was sich Spa nennt und aus Wasserbecken, Massageräumen, Dampfkabinen und holzgetäfelten Zimmern mit heißer Luft besteht. Ein Aufenthalt im Spa glasiert jede Reise mit einer Schicht Glück, schäumt die Stunden im Hotel auf. Genauer betrachtet ist das Hotel heute sogar der einzige Ort neben einem Krankenhaus, wo man einen Bademantel in der Öffentlichkeit tragen darf. Dann begegnet ein Paar mit Pelzjacken über dem Arm, das gerade eingecheckt hat, im Lift einem Paar, das Bademantel trägt, auf dem Weg zum Spa. Das Bademantelpärchen mustert das eingecheckte Pärchen, Uhren, Schmuck, Kleidung, Qualität der Schuhe. Das eingecheckte Pärchen mustert das Bademantelpärchen und sieht einen zu großen Bademantel bei der Frau und zu dünne Frotteeschlappen-Sohlen bei beiden.

Dass der Bademantel völlig ungeniert im Hotel getragen werden darf, ist bemerkenswert: Denn eigentlich genießt ein Bademantel keinen besonders guten Ruf. Erst mal ist er nämlich nicht besonders schön: Aus weichem Stoff, zumeist aus Baumwoll-Frottee, hergestellt, verwischt der Bademantel alle menschlichen Konturen; man sieht darin aus wie ein schlecht zusammengeschippter Schneehaufen.

Genauso unentschieden: Größe, Schnitt und Handhabung eines Bademantels. Nur mit einem Gürtel nachlässig zusammengebunden und im Unisex-Format bedeckt und wärmt er nicht einmal so, wie man es von einem ordentlichen Kleidungsstück erwartet. Er ist eher ein Übergangsstück zwischen nackter Haut und Kleidung.

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Auch was seine Aussage betrifft, weist der Bademantel auf einen Schwellenzustand: Wer ihn trägt, schläft nicht, ist aber auch nicht angezogen, also einsatzbereit für das Leben – er befindet sich zwischen den großen Polen des Menschseins, zwischen Ruhe und Leistung. Man trägt ihn in intimen, privaten Situationen. Nur Kranke, Alkoholiker, Langschläfer, Zuhälter und andere gesellschaftliche Randfiguren zeigen sich im Bademantel vor ihren Mitmenschen. So wie der Unterschichten-Philosoph Dittsche in der gleichnamigen TV-Sendung, der im gestreiften Bademantel sein Bier am Wurstgrill holt. Oder wie der Dude, die Hauptfigur aus dem Kinofilm The Big Lebowski, der sich zwischen Bowlingrunden bei Joints und White-Russian-Drinks entspannt. Kleidet der Bademantel Frauen in Film oder Literatur, rutscht er nicht selten in eine sehr verruchte Ecke – oder zumindest die Schulter runter, so wie bei Julia Roberts in Pretty Woman. Auch reale Bademantelträger haben einen schrägen Ruf, wie der Playboy-Gründer Hugh Hefner oder Udo Jürgens, der bei den Zugaben seiner Konzerte immer in weißem Frottee auftritt.

Diesen Beiklang von Verwahrlosung oder Frivolität hatte der Bademantel aber nicht immer. Sein Urahne war immerhin der Morgenrock, ein Kleidungsstück aus edlem Stoff, in das sich Menschen hüllten, die Arbeit nicht nötig hatten: Adlige, Reiche, Gutsbesitzer, Lebemänner. Im späten 18. Jahrhundert als Kopie asiatischer Kimono-Mode nach Europa eingeführt, wärmte er bis zum 20. Jahrhundert in großen, schlecht beheizten Anwesen – und stieg zum dekadenten Accessoire einer eleganten Oberschicht auf. Im Morgenrock konnte man problemlos Menschen gleichen Standes oder Untergebene empfangen. In der Romantrilogie Oblomow von 1859 ist der Morgenrock der Hauptfigur Symbol für den begabten, aber zur Passivität verkümmerten russischen Adel.

Lange galt der Bademantel also als Privileg derer, die nicht arbeiten mussten. Heute ist er meistens die Bürde jener, die nicht arbeiten können.

Seit ein paar Jahren aber taucht das Kleidungsstück massenhaft in Hotels auf und bringt die frühere Erhabenheit zumindest für ein exklusives Wochenende zurück. Seitdem der Bademantel im Doppelpack im Zimmer hängt, schwer, weich, passende Schlappen dazu, mutiert er auch in ökonomischer Hinsicht zu einem Schwellenprodukt: Viele Gäste wissen nicht, ob sie ihn kaufen müssen oder wie die kleinen Kosmetikproben im Badezimmer mitnehmen dürfen. Nur deswegen legen Hoteldirektoren häufig ein Schreiben aufs Zimmer: »Gern dürfen Sie den Bademantel während der Dauer Ihres Aufenthaltes nutzen. Wollen Sie ihn auch zu Hause genießen, können Sie ihn an der Rezeption erwerben.« Im Berliner »Adlon« etwa kostet er 95 Euro.

Mit dem Bademantel, den der Gast gern auch um 16.30 Uhr in der Hotellobby tragen darf, knüpfen die Hotels an die alte Tradition des Adels an. Doch genau an diesem Ort der Distinktionen macht der Bademantel die Menschen zugleich zu Uniformierten. Menschen nutzen ein Hotel normalerweise als Ort der Abgrenzung, als Bühne, um sich und anderen zu zeigen, wer sie sind – nicht nur durch die Wahl des Hotels, sondern auch mithilfe von Uhren, Autos, Reisegepäck, Kleidung, Schuhen, Handtaschen. Wenn sie eingehüllt in weiches Frottee durch die Korridore laufen, erkennt aber nur noch das geübte Auge die feinen Unterschiede in der Qualität der Maniküre oder der Haarblondierung. Im Spa dann werden die Menschen endgültig zu einer Armee von Riesen-Wattebäuschen.

Foto: Anne Schoenharting/Ostkreuz